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Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten

Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten

Titel: Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten
Autoren: Tobias O. Meißner
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I
     
    Adain konnte das Ende hören.
    Wie ein leuchtender Regen und ein strahlender Sturm prasselte es über das Land. So viele Tote. All ihr Schreien verstummte. Berge wurden zu Wolken. Flüsse zu wehendem Dampf. Der Boden riss sich los aus seiner Verankerung und schoss brüllend empor in den Himmel, um von dort aus in Asche verwandelt zurückzukehren. Menschen, Dämonen, Tiere und andere, noch fremdere Lebensformen vergingen. So viel Vergeblichkeit und so viele unerreichte Ziele.
    Adain begriff, dass etwas schiefgelaufen sein musste. Energielinien hatten sich aufeinander zubewegt, eine Konfrontation herbeiführend, oben im Norden, in der fernen Senke von Zegwicu. Doch dann war etwas geschehen. Eine weitere Linie, die vorher nicht als solche zu erkennen gewesen war, hatte sich hineingemischt. Die Linien hatten sich ineinander verschlungen und miteinander verknotet. Und dieser Knoten war geplatzt.
    In seiner Höhle, in der schon seit Langem außer ihm niemand mehr war, blieb Adain vom Ende verschont. Während sich oben das neungeteilte Land Orison auflöste und dabei aschfahl wurde vor Schreck, trieb Adain sich im verwaisten Ratssaal herum und studierte die Kreideinschriften, die sämtliche Wände überzogen.
    Alles Mögliche und Denkbare fand sich hier. Schriftzeichen unterschiedlicher Sprachen, einige von ihnen ausgestorben, andere vermutlich erfunden. Kreise, Spiralen und Dreiecke sowie die Formel zur Berechnung der Seiten eines Dreiecks. Verse von Gedichten, einige mit Reimen, andere vollkommen abstrakt. Bildergeschichten. Die Anfänge zweier Romane, von denen der erste mit »Der König« begann und der zweite mit »Der Himmel«. Bannsprüche und Beschwörungsformeln. Alchimistische Herleitungen. Numerologien und Benennungen der leuchtenden Städte des Himmels sowie sogar das Ordnen der leuchtenden Städte des Himmels zu bedeutsamen Bildern. Tier- und Landschaftsdarstellungen. Karten, Wegskizzen und Lagepläne. Risszeichnungen. Entwürfe von Mischwesen: Baupläne für mannigfaltige Dämonenleiber.
    Während oben im Land das Ende tobte und wütete, blickte Adain an seinem eigenen Leib hinab: Er war schlank und nicht besonders groß. In seiner Nacktheit schimmerte er grün. Er war weder Frau noch Mann, und sein linker Arm und sein linkes Bein waren deutlich kürzer als sein rechter Arm und sein rechtes Bein. Wenn er ging, hinkte er stark, und wenn er sich etwas nehmen wollte, musste er mit links näher herangehen als mit rechts. Dafür waren seine Wimpern beinahe doppelt so lang wie die anderer Lebewesen, und die Wimpern immerhin – davon konnte er sich in einem Stück Felsen überzeugen, das glatt geschliffen war wie ein Spiegel – waren links und rechts gleich, brachten also Ruhe in Adains bizarre Asymmetrie und versahen sein Gesicht mit einem Ausdruck der Milde und Vergebung.
    Adain war niemandem böse, auch nicht für die offensichtlichen Mängel seines Leibes.
    Er selbst hatte es nicht anders gewollt.
    Er war lieber einsam als unter anderen. Lieber unbedrängt als zusammengepfercht. Lieber in Finsternis als draußen, wo nun alles hell und tot glänzte wie geschmolzener Sand. Als der Bann gefallen war und jeder sich gegriffen hatte, was er nur hatte packen können, hatte Adain sich zurückgehalten und sich als einer der Letzten mit den Resten beschieden. Es hatte ihm nichts ausgemacht, deformiert und schwach zu sein. Er hatte ohnehin nicht vorgehabt, an diesem kindischen Feldzug teilzunehmen. Und wie es aussah, war seine Entscheidung richtig gewesen.
    Zeit verging, und Adain studierte weiterhin die Inschriften. Draußen war es nun stiller und finsterer. Der Tod hatte sich eine Farbe gewählt und einen Klang: ein hohles Rauschen.
    Adain vertiefte sich in Bilder und Formeln. In die Handschrift von Orison. In das eigenartige, geheime, fremde und dennoch so freigebig mitgeteilte und festgehaltene Wissen des mächtigsten Dämonen aller Zeiten.
    Immer wieder, sogar in verschiedenen Ausprägungen, stieß Adain auf jene zentrale Prophezeiung, die über sämtliche Wände zugleich zu fließen schien und die alles mit allem in Verbindung brachte. Ein Text, der durch das Kürzen einer früheren Fassung entstanden war:
     
    menschliche Magier
    waren Dämonen,
    um lebendig zu sein
    Gier
    und Freude
    Lebenskraft
    Zukunft
    Weiterexistenz Freiheit
    Orison war gestorben,
    zu Licht zerflossen und wiederauferstanden
    Das Land
    ging an die Menschen
    niemals
    Und verschwand
    die Dämonen
    die Dämonen
    Auf welche Zeit bezieht sich
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