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Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Titel: Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
Autoren: Hanna Dietz
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gehen. Ich brauchte etwa drei Sekunden, um das Gesagte zu begreifen. Dann packte ich ihn am Hemdkragen und drückte ihn gegen die Mauer und er gab sofort zu, von wem er das gehört hätte. Von meiner angeblich besten Freundin. Die hätte die Jungs vor mir gewarnt und ihnen eingebläut, sie sollten mir gegenüber auf gar keinen Fall erwähnen, dass sie Bescheid wüssten, weil ich mich ja sowieso schon so unwohl fühlen würde. Heilige Scheiße! So was, das hatte ich mir geschworen, würde nie wieder passieren. Immerhin gab es auf dieser Schule keine Jungs. Wer weiß, vielleicht sorgte das dafür, dass die Mädels nicht ganz so biestig waren. Aber darauf wollte ich mich nicht verlassen. Ab jetzt würde ich alles total ruhig angehen lassen. Und wenn ich dann zu der Entscheidung kam, dass es niemanden hier gab, mit dem ich auch nur eine Silbe reden wollte, auch gut. Dann würde ich eben bis zum Abitur als schweigender Eremit leben. Sag ich jetzt mal so.
    Den Rest des Tages hielt ich zu meiner eigenen Überraschung durch, ohne weiteren Schaden anzurichten. Besonders stolz bin ich, dass ich mich zusammenreißen konnte, als mich zur Pause ein Mädchen mit »Hallo, ich heiße Nevaeh, wie Heaven, nur rückwärts« ansprach und affektiert ihr gekrepptes Haar schüttelte. Da war ich ganz knapp davor, wieder irgendeinen Unsinn zu machen, aber glücklicherweise verfiel ich nur in eine Schockstarre. Eltern, die solche Namen vergeben, sollte man meiner Meinung nach verhaften oder in eine bundesweite Fernseh-Talkshow schicken, wo sie sich jedem als Rautgunde Polyxenia und Pubert Pellegrino Schmitz vorstellen müssen. Als Nevaeh-wie-Heaven-nur-rückwärts merkte, dass ich nicht in Plauderlaune war, zog sie irritiert ab. Um weitere mögliche Zusammenstöße zu vermeiden, änderte ich meine Taktik, indem ich einfach so tat, als hätte ich ganz dringende Sachen zu erledigen. In den Pausen spazierte ich durch das Gebäude und entging jedweder verhängnisvollen Kommunikation. In den Unterrichtsstunden tat ich so, als ob ich eifrig mitschrieb, und kritzelte dabei so feste mit dem Kuli hin und her, dass ich einige Seiten meiner Hefte durchlöcherte. Als die letzte Stunde, Französisch, anbrach, war ich froh, dass ich im Sprachlabor einen Platz neben der Jahrgangsbesten gefunden hatte, denn Nora war offensichtlich genauso wenig auf Kontakt aus wie ich. Sie nickte mir kurz zu und lauschte dann andächtig dem Kauderwelsch von Frau Krawelinski, die um ihre üppige Dampfnudelfigur ein todschickes Wickelkleid mit schwarz-weißem Blumenmuster drapiert hatte und mit ihren signalroten Lippen zu bleichem Teint aussah wie die ewig Champagner schlürfende Muse eines mürrischen Malergenies. Ich fand sie klasse und ließ mich auch nicht davon stören, dass sie einen auf besonders Französisch machte, indem sie das »oui« immer wie »wäh« aussprach. Ihr tolles Outfit machte jedenfalls richtig Lust auf einen Stadtbummel. Und den würde ich direkt nach der Schule in Angriff nehmen. Als Belohnung für… mmmhhh… für diesen verkorksten ersten Tag ... für mein selbst gewähltes Eremitentum und ... einfach überhaupt. Die Aussicht auf eine ausgiebige Shoppingtour besserte meine Laune erheblich. Was ich am liebsten kaufe, sind – keine Überraschung – Klamotten, Schuhe, Make-up und Cremes und besonders gerne Bücher. Ich zwinge mich aber dazu, jedes Mal nur ein einziges Buch zu kaufen, und zwar das, was mich an diesem Tag am meisten anzieht. So kommt man an genau das Buch, das der eigenen Stimmung am besten entspricht, und man muss nicht so viel schleppen, wenn einem danach einfällt, dass man ganz dringend noch ein neues Top braucht. Sobald die Schulglocke ertönte, schnappte ich meine Tasche und eilte zur Tür. Die letzte Stunde hatte im ersten Stock stattgefunden, und ich lief beschwingt die Treppe herunter. Bis ich zum Fenster kam, aus dem man über das Eingangstor auf die Straße schauen konnte. Da sah ich ihn. Und meine gute Laune war mit einem Schlag vorbei.

2
    Er stand vor dem Schulgebäude auf der anderen Straßenseite im Schatten eines Baumes, die Arme verschränkt. Er wartete. Er wartete auf mich. Schon wieder. Er war einen halben Kopf größer als ich und ungefähr doppelt so breit. Sein Gesicht war von hier oben nicht zu erkennen, aber ich wusste ja, wie er aussah mit seinen kurz geschorenen schwarzen Haaren und den hellgrünen Augen, die einen erfassten wie ein Laserstrahl.
    Seit drei Tagen hing er mir schon an den Hacken. Wie ein
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