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Gefährliche Freiheit

Gefährliche Freiheit

Titel: Gefährliche Freiheit
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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im Begriff einzuschlafen, als wieder Schüsse fielen.

 
6. Kapitel
     
    Die Schüsse kamen nicht aus der Nähe, doch es waren viele. Als er aus Chiutza geflüchtet war, hatte er vielleicht drei oder vier Schüsse gehört. Schon das war beängstigend genug gewesen, aber vielleicht hatte er sich in seiner Angst und Verzweiflung auch vertan.
    Diese Schüsse waren jedenfalls noch beängstigender, denn es klang, als feuerte ein ganzes Dutzend Gewehre gleichzeitig, immer und immer wieder.
    Krieg, dachte Luke und versuchte, sich abermals angestrengt eine Vorstellung davon zu machen, was er in der Schule gelernt, aber niemals wirklich kennen zu lernen erwartet hatte. Massen von Menschen, die gegeneinander kämpfen.
    Lukes erster Impuls war, sich in der Sicherheit seiner Höhle noch ein bisschen fester zusammenzukauern, die Knie gegen das Kinn gepresst, der Körper von dickem Felsgestein vor allen Kugeln geschützt. Er war bereit einzuschlafen, um die Kampfgeräusche der anderen nicht hören zu müssen.
    Doch wider Willen bahnte sich eine andere Erinnerung ihren Weg: Sein Streit mit Jen, am Tag, bevor sie starb.
    Du kannst ein Feigling sein und darauf hoffen, dass jemand anderes die Welt für dich verändert. Du kannst dich da oben auf deinem Dachboden verstecken, bis jemand an die Tür klopft und sagt: »He, sie haben übrigens die Schattenkinder befreit. Willst du auch rauskommen?« Ist es das, was du willst?
    Sie hatte ihn überreden wollen, mit ihr auf die Kundgebung zu kommen, auf der für die Rechte der dritten Kinder gestritten wurde. Er werde es sein Leben lang bereuen, nicht selbst für die Freiheit gekämpft zu haben, hatte sie ihn angeschrien: Wenn du dich irgendwann nicht mehr verstecken musst, wird ein Teil von dir noch Jahre später denken: »Ich habe es nicht wirklich verdient, weil ich nicht dafür gekämpft habe. Ich bin es nicht wert.« Aber das bist du, Luke. Du bist es …
    Wenn man das Wort »Dachboden« durch »Höhle« ersetzte, war es, als würde sie sich in diesem Moment mit ihm streiten. Ihn schauderte, als wäre ihm Jens Geist tatsächlich erschienen und würde ihn drängen: Komm augenblicklich aus dieser Höhle! Geh und beteilige dich an diesem Krieg!
    »Hör auf!«, murmelte er und hielt sich die Ohren zu, als könnte er dadurch eine Stimme zum Schweigen bringen, die doch nur in seinem Kopf zu hören war. »Warum sollte ich auf dich hören? Deine Kundgebung hat schließlich nichts bewirkt. Außer, dass du erschossen wurdest. Willst du, dass ich auch sterbe?«
    Im Grunde konnte er gar nicht behaupten, dass Jens Kundgebung nutzlos gewesen war. Vieles war seitdem geschehen. Ohne Jen und ihre Kundgebung hätte er niemals falsche Papiere erhalten und sein Elternhaus verlassen. Er wäre nie auf die Hendricks-Schule gegangen und hätte dort seine Freunde kennen gelernt. Er hätte nie einem Jungen namens Smits helfen können, mit dem Tod seines Bruders fertig zu werden. Er hätte sich nie ins Hauptquartier der Bevölkerungspolizei eingeschmuggelt, hätte nie versucht, in der Welt etwas zu bewirken, wäre nie in dieser Höhle gelandet.
    Und das soll mich überzeugen?, fragte er sich.
    Dennoch ließ er die Hände sinken und kroch zurück zum Höhleneingang. Draußen gab es nichts als Bäume, eine friedliche Szenerie. Doch die Schüsse waren nun deutlicher zu hören. Vielleicht war der Kampf doch nicht so weit weg.
    Ich weiß nicht einmal, wer gegen wen kämpft. Ich wüsste gar nicht, auf welche Seite ich mich schlagen soll. Ich habe keine Waffe – ich würde bestimmt umkommen.
    Er stritt sich immer noch mit Jen, dabei war sie seit fast einem Jahr tot.
    Seufzend kroch Luke aus der Höhle und richtete sich auf. Er könnte einfach nur hingehen und nachsehen, was vor sich ging. Er würde sich verstecken und alles beobachten. Wenn er sich nicht allzu nahe heranwagte, war es bestimmt nicht gefährlich.
    Er begann in die Richtung zu gehen, aus der die Schüsse kamen, doch ihr Klang hallte zwischen den Bäumen wider und verwirrte ihn. Zweimal wechselte er versehentlich die Richtung und stellte fest, dass er wieder auf den Berg zuging. Vielleicht beschrieb der Berg aber auch einen Bogen und grenzte an mehreren Seiten an den Wald.
    Als er endlich das Gefühl hatte, in die richtige Richtung zu laufen, hörte die Schießerei plötzlich auf. Luke erstarrte, wartete, aber im Wald blieb alles still. Dann hörte er in der Ferne Jubel und Geschrei – weit weg, aber es kam näher.
    Luke schlüpfte hinter einen Baum,
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