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Gefährliche Freiheit

Gefährliche Freiheit

Titel: Gefährliche Freiheit
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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Gesicht und ließ sie fast überirdisch erscheinen. Sie sah zart aus, ohne zerbrechlich oder schwach zu wirken. Luke ertappte sich bei der Frage, ob seine eigene Großmutter wohl so aussehen mochte – die Großmutter, die nicht einmal hatte erfahren dürfen, dass es ihn gab.
    »Die Bevölkerungspolizei fordert Sie auf, um elf Uhr auf dem Marktplatz an einer Versammlung teilzunehmen. Sie werden dort einen neuen Ausweis erhalten. Alle anderen Dokumente verlieren nach der Ausgabe der neuen Karte ihre Gültigkeit«, leierte Luke herunter. Dann wandte er sich eilig ab, um zu gehen, weil er nicht darüber nachdenken wollte, dass er der Frau die Tür eingeschlagen hatte und sich benahm wie ein typischer brutaler Polizeirekrut, und wie anklagend ihn die Augen dieser Frau anzuschauen schienen. Noch im Umdrehen fiel ihm auf, dass die Frau keine Anstalten machte, aufzustehen.
    »Diese Anordnung ist verbindlich«, sagte er kurz vor der Tür.
    »Nein«, sagte die Frau.
    Überzeugt, sich verhört zu haben, blieb Luke stehen.
    »Wie?«, fragte er nach.
    »Ich habe ›Nein‹ gesagt«, antwortete die Frau ruhig. »Ich werde nicht gehen.«
    »Wissen Sie denn nicht, was ›verbindlich‹ bedeutet?«, fragte Luke nach. »Sie müssen gehen!«
    »Nein«, erwiderte die Frau. »Ich habe eine Wahl. Du magst es ›verbindlich‹ oder eine ›Anordnung‹ nennen. Aber ich kann trotzdem meine eigene Entscheidung treffen. Und ich werde nicht gehen.«
    Draußen hörte Luke Schritte näher kommen.
    »Was geht da drinnen vor? Warum dauert das so lange?«, raunzte Officer Houk.
    Luke hörte, wie er gegen die Tür drückte, die daraufhin endgültig aus dem Rahmen kippte und krachend zu Boden fiel. Luke versuchte ihr auszuweichen, wurde aber dennoch am Bein gestreift.
    Officer Houk sah auf die umgestürzte Tür und dann auf die Frau.
    »Los, kommen Sie«, knurrte er.
    »Sie sagt –«, begann Luke zu erklären, hatte jedoch plötzlich das Gefühl zu petzen.
    »Ich kann für mich selbst sprechen«, sagte die Frau. »Ich bin es leid, die Bevölkerungspolizei zu unterstützen. Sie haben gesagt, wenn wir uns an Ihre Vorschriften halten, wenn wir Ihre Gesetze befolgen, bekämen wir Frieden und Wohlstand. Ist das Friede – wenn Männer ohne jeden Grund in mein Haus eindringen? Ist das hier Wohlstand?« Mit einer weit ausholenden Geste deutete sie auf ihr Haus und ihren Garten und Luke sah, dass ihr Kleid von Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurde. »Sie haben gesagt, wenn mein Sohn in Ihre Dienste tritt, bekämen wir alle zu essen. Jetzt ist mein Sohn fort, aber ich muss weiter hungern. Und Sie glauben im Ernst, dass mich Ihre Ausweise noch kümmern?«
    Officer Houk zog etwas aus seinem Gürtel. Eine Waffe, wie Luke entsetzt feststellte. Der Officer richtete sie auf die Frau und knurrte mit zusammengebissenen Zähnen: »Sie – werden – gehorchen.«
    »Nein«, wiederholte die Frau mit fester Stimme und klang dabei fast fröhlich.
    Officer Houk ließ die Pistole sinken.

 
4. Kapitel
     
    Luke stand wie angewurzelt da. War es wirklich so einfach? Man sagte einfach »Nein« – und schon machte die Bevölkerungspolizei einen Rückzieher. War überhaupt schon mal jemand auf den Gedanken gekommen, diesen Schritt zu wagen?
    Aber Officer Houk machte keinen Rückzieher.
    »Ich verschwende doch keine Kugel und erschieße sie hier, wo es keiner mitbekommt«, sagte er. »Du bringst sie zum Marktplatz, dann erschieße ich sie dort, wo ich der ganzen Stadt eine Lektion erteilen kann.«
    Er meinte Luke. Luke sollte diese Frau packen und dorthin bringen, wo man sie töten würde.
    Ich habe eine Wahl. … Ich kann meine eigene Entscheidung treffen. … Die Worte der Frau schienen noch immer im Zimmer widerzuhallen und in Lukes Kopf nachzuklingen. Habe ich wirklich eine Wahl?, fragte er sich. Wenn er sich weigerte, würde Officer Houk sicherlich nicht die Waffe wegstecken und sagen: Du hast Recht. Lassen wir die alte Dame einfach in Ruhe. Einen schönen Tag noch, Ma’am. Wahrscheinlich würde Officer Houk beschließen die Frau und Luke zu erschießen.
    Aber wenn er gehorchte … wenn er zu ihrem Tod beitrug … Ach, Trey, warum hast du nicht geahnt, dass so etwas passieren könnte, als du vorgeschlagen hast, wir sollten die Bevölkerungspolizei von innen heraus sabotieren?, dachte Luke gequält.
    »Nun schnapp sie dir schon!«, brüllte Officer Houk. »Los!«
    Luke stolperte vorwärts und hob die Frau hoch. Ihr Körper war unglaublich leicht, wie Hühnerknochen.
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