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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter
Autoren: Ines Thorn
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wusch sich seufzend Hände und Arme in einer Schüssel. «Wenn mir bloß die Katze nicht an die Sahne geht!»
    «Mord geht vor», erklärte Hella und steckte den Finger in die Sahneschüssel. Sie erhielt von ihrer Mutter einen Klaps dafür.
    Gustelies atmete hörbar ein und aus. «Selbstmord unter dem Galgen! Was sind denn das für neue Moden? Hat sich die Frau nicht umbringen können wie jeder andere anständige Mensch auch? Warum ist sie nicht ins Wasser gegangen, frage ich?»
    «Siehst du, Mutter, ich finde das auch merkwürdig. Einen Selbstmord unter dem Galgen! Und genau deshalb müssen wir dorthin.»
    Gustelies nahm ihren Umhang vom Haken, doch im selben Augenblick kam ihr Bruder, der Pater Nau, zur Tür herein.
    «Oh, Grüne Soße! Die Freude meiner späten Tage!»
    Er machte runde Augen, begrüßte dann seine Nichte. «Gustelies ist mir ein wahres Glück», beteuerte er. «Ansonsten ist das Leben ein Graus.»
    Hella lächelte und küsste den Onkel, einen kleinen Mann, auf die Tonsur. «Ich weiß, Onkel Bernhard. Seit Vater tot ist und Gustelies dir den Haushalt führt, bist du längst nicht mehr so griesgrämig. Das sagen alle.»
    Sofort verdüsterte sich Pater Naus Gesicht. «Die Welt ist ein Jammertal. Dabei bleibe ich. Aber das Essen deiner Mutter macht es erträglicher.»
    Er segnete die beiden Frauen, dann verschwand er.
    «Wahrscheinlich arbeitet er jetzt wieder an seinen theologischen Traktaten, die er mit dem Antoniterbruder Göck dann lautstark bespricht. Na, so nascht er wenigstens nicht von der Sahne.»
    Es dauerte noch eine kleine Weile, ehe Gustelies so weit war, das Haus verlassen zu können. Die kleine Frau, an der alles rund war – der Kopf, die Augen, der Mund, der Busen, der Hintern, sogar die Hände – trug einen Henkelkorb über dem Arm, darin ein Kneifchen, ein kleines Messer. «Falls wir unterwegs irgendwo Kerbel für die Grüne Soße sehen.»
    Als die beiden Frauen nebeneinander die Straße hinabgingen, hätte wohl niemand geglaubt, dass sie Mutter und Tochter waren. Hella war groß, bald einen halben Kopf größer als Gustelies. Während sich unter ihrer Haube hüftlange Zöpfe von der Farbe des Hafers verbargen, hatte Gustelies rötlich braunes Haar, das mit den Jahren schon dünner und blasser geworden war.
    Hella schaute mit großen Augen in die Welt, die sich – je nach Wetter – mal grün, mal grau, mal blau ausnahmen. Gustelies hingegen bedachte alles mit durchdringenden Blicken aus schiefergrauen Augen.
    Hellas Mund war schön geschwungen, mit voller Unter- und etwas schmalerer Oberlippe. Gustelies’ Lippen dagegen sah man an, dass diese stets bereit waren, ein Stück Kuchen, einen Batzen Braten oder einen roten Apfel festzuhalten.
    Mit langen Beinen schritt Hella die Straße hinab, und Gustelies folgte ihr mit kurzen Schrittchen.
    Am Mainzer Tor stand der Wächter, dessen Klopfen Hella am Morgen geweckt hatte.
    «Blettnerin, Ihr seid doch nicht etwa unterwegs zum Galgenberg?», fragte er.
    Sogleich entrüstete sich Gustelies, stellte sich vor ihre Tochter und hielt dem Torwächter das Kneifchen unter die Nase. «Was sollen wir am Galgenberg? Gibt es dort vielleicht Kerbel für meine Grüne Soße, he? Und hast du schon einmal Grüne Soße essen müssen, in welcher der Kerbel fehlt, wie? Da ist es einer Hausfrau wohl erlaubt, ein wenig nach Kräutern zu schauen, was?»
    Der Torwächter wich zurück, weil Gustelies noch immer mit dem Kneifchen vor seinem Gesicht herumfuchtelte.
    «Richter Blettner hat gesagt, ich dürfe Euch nicht zum Galgenberg lassen.»
    «Richter Blettner, na so was! Auch der Richter will Kerbel in der Grünen Soße, merk dir das, Wächter. Und überhaupt: Der Richter hat mir gar nichts zu verbieten. Habe ich ein Verbrechen begangen, frage ich dich?»
    «Nein, gewiss nicht.»
    «Na also! Mach den Weg frei und stiehl dem lieben Gott nicht den Tag.»
    Energisch schob Gustelies den Mann zur Seite und eilte mit kurzen Schrittchen durch das Tor. Hella war versucht, dem Torwächter die Zunge herauszustrecken, doch im letzten Augenblick konnte sie sich bremsen.
    Dann waren sie am Galgenberg. Behände raffte Hella die Röcke und sprang über das Törchen. Gustelies aber stand ratlos davor.
    «Du kannst hier auf mich warten», sagte Hella, aber Gustelies schüttelte den Kopf. Dann reichte sie ihrer Tochter den Korb, schürzte ebenfalls die Röcke und kletterte umständlich über das Törchen. Als beide Beine den Boden der Hinrichtungsstätte berührten, atmete sie
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