Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter
Autoren: Ines Thorn
Vom Netzwerk:
gelassen, drehte sich die Mutter um und drohte den Torwächtern mit der Faust: «Hurensöhne seid ihr!», schrie sie so laut, dass die Leute in der engen Gasse stehenblieben und zu ihr schauten. «Verdammte Hurensöhne!»
    «Komm weiter, Mutter», piepste das Kind, senkte wieder den Blick, um der Neugier der Leute zu entgehen.
    Eine Frau, die vorüberging, sah auf das kleine Mädchen und sagte: «Armes Ding.»
    «Dir werd’ ich von wegen ‹armes Ding›. Mit Lust ist sie gemacht, mit feuchtem Schoß. Ich wette, du, Bürgersfrau, weißt gar nicht, was das ist.»
    Ein Handwerker lachte, bevor er rasch weiterging. Zwei Frauen wandten sich kopfschüttelnd ab.
    «Komm weiter!», flüsterte das Kind noch einmal, und diesmal tätschelte die Mutter ihm den Kopf.
    «Bist die einzig Vernünftige weit und breit.»
    Dann warf sie den Kopf in den Nacken und ging hüftenschwingend weiter, das Kind hinter sich herziehend.
    Als sie den Markt erreicht hatten, wurde die Mutter fröhlicher. «Weißt du was? Ich kauf dir ein Band für deine Haare. Musst beizeiten lernen, dich hübsch zu machen, nicht wahr?»
    Sie trat an den Stand einer Krämerin, wo sie die Bänder betrachtete. Auch das Mädchen staunte. Ein blaues Band, dachte sie. Ein blaues Band hätte ich gern. Das dort, dahinten, neben dem grünen. Das, sonst keines.
    Sie zog am Arm der Mutter, deutete mit dem Finger auf das blaue Band.
    «Ach, geh mir weg mit dem blauen Zeug. Ein rotes Band sollst du haben. Rot wie Blut, rot wie die Liebe.»
    Das Mädchen schwieg. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie wollte doch das blaue Band, nichts sonst. Die Mutter hatte inzwischen nach dem roten Band gegriffen, wollte es gerade hochheben.
    «Pfoten weg!», donnerte die Krämerin und drohte mit der Faust. «Ich verkaufe nicht an Kebsweiber. Nimm deine dreckigen Griffel hier weg und scher dich. Vergraulst mir die ganzen Kunden.»
    Die Mutter öffnete den Mund, holte tief Luft.
    «Nicht, Mutter», bat das Kind, doch niemand hörte es.
    «Du dumme Schlampe», höhnte die Mutter. «Glaubst vielleicht, weil du nur für den Deinen die Beine breit machst, bist du was Besseres, he?»
    Sie wischte mit der Hand über den Verkaufsstand, dass die Bänder und Spangen, Kämme und Gürtel durcheinanderflogen.
    «Scher dich fort, Kebse, ehe ich die Büttel rufe!», keifte die Krämerin zurück.
    Die Mutter hatte das Kind losgelassen, stemmte die Arme in die Hüften und spuckte der Krämerin vor die Füße. «Dreck sind deine Waren. Rotz und Unrat. Nie im Leben hätte ich bei dir gekauft. Soll ich mir etwa die Krätze holen bei deinem Zeug?»
    Sie wandte sich um, sprach nun zu der Menschenmenge, die sich versammelt hatte. «Eine ehrliche Krämerin will die sein. Ehrlich, entbehrlich. Vom Tuchhändler wird sie sich an die Wand drücken lassen. Auf ihren Stoffballen wird sie es treiben und euch braven Leuten den Samen der Unzucht mitverkaufen. Seht euch die Bänder an! Könnt ihr die Flecken erkennen?»
    «Also, das ist doch allerhand! Die Büttel ruf ich. Einsperren sollen sie dich. Mit Ruten ausstreichen, weil du meinen Ruf beschmutzt hast. Büttel! BÜÜÜÜÜÜTTEL!»
    Das Mädchen hatte sich eng an die Seite der Verkaufsbude gepresst. Nun sah es, wie sich wahrhaftig die Stadtknechte mit umgehängten Hakenbüchsen näherten.
    «Mutter!», rief sie, so laut sie konnte. «Mutter, die Büttel!»
    Der Ruf hatte das Keifen der Mutter unterbrochen. Gehetzt sah sie sich um. Dann raffte sie mit beiden Händen die Röcke und hetzte davon, ohne auf das Mädchen zu warten. Ein faules Ei traf sie am Hinterkopf, jemand schleuderte eine Kohlrübe nach ihr.
    Das Mädchen rannte, so schnell es konnte, hinter ihr her, doch seine Beine waren zu kurz. Sie konnte der Mutter nicht folgen. Also blieb sie am Rande des Marktes stehen, schöpfte Atem, keuchte. Ihre Seiten schmerzten. Sie spürte die mitleidigen Blicke der Marktbesucher im Rücken. Die brannten heißer als Feuer, versengten ihren zarten Nacken.
    Da ging sie schnell zurück zum Stadttor, ging blicklos an den Wächtern vorbei, setzte sich dahinter an den Wegrand und wartete.
    Lange saß sie so. So lange, dass der Hunger in ihrem Innern rumorte und der Durst ihre Lippen spröde machte. Die Sonne brannte und machte sie schläfrig. Als die Glocken zur Vesper läuteten und die Fahne, die das Marktrecht verkündete, eingeholt war, schlief das Mädchen ein.
    Ein Tritt in die Seite weckte sie auf. Die Mutter stand über ihr und zerrte sie hoch. Das Mädchen roch ihren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher