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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter
Autoren: Ines Thorn
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werden. Scharfrichter   – Abschaum der Menschheit, so sagte man über diesen Mann und hielt es für ein Unglück, von ihm angerührt oder betrachtet zu werden. Selbst die Verbrecher, die zum Tode verurteilt waren, wollten lieber mit dem Schwert gerichtet werden, um nicht von der Henkershand berührt zu werden. Er wohnte natürlich vor den Toren der Stadt. Dort, wo die anderen Unehrlichen, die Abdecker, Schinder, Stöcker, Huren, Abortkehrer, Wahrsager, Gaukler, Musikanten und Schlitzohren hausten. Aber selbst in der Vorstadt wollte niemand mit dem Henker zu tun haben. Mindestens drei Generationen brauchte es, damit die Nachkommen eines Scharfrichters Zulassung in einer Frankfurter Zunft erhielten. Richter Blettner sah zu, dass sein Pferd zwischen dem Henker und ihm stand.
    «Wir müssen zum Galgenberg. Eine Tote liegt dort», sagte er.
    Der Scharfrichter verzog den Mund, erwiderte aber nichts. Dann ritten die drei Männer durch die morgendlich belebten Gassen der Stadt. Sie wichen einem Karren mit Kohlköpfen aus, der von einem Bauern zum Markt gezogen wurde, trieben mit der Peitsche die umherlaufenden Schweine aus dem Weg, wurden von links und rechts gegrüßt, kamen am Brunnen vorbei, an dem die Mägde schwatzten, machten einer Wäscherin mit einem riesigen Korb Platz und waren endlich am Mainzer Tor angelangt. Der Galgenberg, die Hinrichtungsstätte der Stadt Frankfurt, lag kurz hinter dem Tor. Schon von weitem sah man den Galgen aufragen. Jetzt kreisten Raben darüber.
    «Dieses Viehzeug ist immer schon vor der Stadtmacht da», brummte der Richter.
    Der Scharfrichter lachte. «Sie sind dort, wo ich bin.»
    Als sie den Berg erreicht hatten, stiegen sie von den Pferden. Der Scharfrichter holte einen großen Messingschlüssel hervor und öffnete das Törchen in der Mauer, die die Hinrichtungsstätte umgab, aber gerade kniehoch war.
    Richter Blettner trat zu der Toten. Sie lag am Fuße des Galgens, den Kopf im Schatten des Querbalkens. Das Gesicht war wie im Krampf verzerrt, die Glieder seitlich ausgebreitet, als sei sie bereit, auf das Rad geflochten zu werden.
    «Hm, sieht wirklich wie eine Hure aus, die ihre besten Tage lange hinter sich hat. Medicus, sagt mir, woran das Weib gestorben ist», befahl der Richter.
    Der Stadtmedicus kniete sich neben die Tote, betrachtete ihre Haut, roch an ihrem Mund, drehte den Körper, zog das Hemd hoch, fuhr mit der Hand über Bauch und Rücken, sah in die Nase, in die Ohren, wühlte im Haar, zog die Lider von den Augen.
    «Kein Zeichen von Gewaltanwendung, kein sonderbarer Geruch, keine Knochenbrüche, Einblutungen oder sonstige Merkwürdigkeiten. Die Leichenstarre ist schon weg, also ist die Frau seit über zwei Tagen tot.»
    «Hmm», brummte der Richter, kratzte sich am Kinn und wandte sich an den Scharfrichter.
    «Ist dir etwas aufgefallen?»
    Der Scharfrichter schüttelte den Kopf. «Sie ist keine von unseren Huren. Eine Auswärtige muss sie sein. Eine Wanderhure vielleicht. Reichlich bräunliche Flecke hat sie allerdings. Und ihr Haar ist im Nacken nass. Auch die Säume des Kleides sind noch feucht.»
    «Das kann vom Morgentau kommen. Aber was meinst du mit bräunlichen Flecken?», fragte der Richter, trat näher an die Tote heran und wies mit dem Finger auf ihr Gesicht. «Da? Die Flecken um Mund und Nase meinst du?»
    Der Scharfrichter nickte.
    «Medicus, was sagt Ihr dazu?», wollte der Richter wissen.
    Der Stadtmedicus zuckte die Achseln. «Nun, welche Hure hat keine Flecke? Wer weiß schon, wo sich diese Weiber so herumtreiben und welches Viehzeug sie mit sich tragen? Vielleicht sind das Wanzenbisse.»
    Der Richter zog die Stirn in Falten, wich zehn Schritte zurück, betrachtete zuerst kopfschüttelnd den Arzt, dann die Umgebung. «Das Gras ist ein bisschen heruntergetreten. Das kann die Hübschlerin selbst gewesen sein. Keine Abdrücke von Pferdehufen, keine Karrenspuren. Die Frau könnte sich selbst gerichtet haben. Mit Gift vielleicht.»
    «Und der Hund?», fragte der Scharfrichter.
    Blettner winkte ab. «Selbstmord ist ein Verbrechen wider Gott, die Kirche und die Menschen. Der Täter ist vor der Welt entehrt. Sie selbst wird den Hund dorthin gehängt haben; weil sie schon wusste, dass sie noch den letzten Rest ihrer Ehre verliert, legt sie Hand an sich.»
    «Selbstmord also?», fragte der Scharfrichter. «Dann steht mir der Nachlass der Toten zu.»
    «Mach langsam, Henker. Zuerst muss ich die Zeugen befragen. Kriegst die Sachen der Hure noch rechtzeitig zwischen
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