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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter
Autoren: Ines Thorn
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Schreiber aber hörte höflich darüber hinweg.
    Wenig später erwachte der Richter, nahm die Protokolle von Hella in Empfang, prüfte die Siegel, drohte seiner Frau vorsorglich noch einmal mit dem Finger und schloss sich in seinem Arbeitszimmer ein. Die Glocke der Kirche hatte kaum die nächste Viertelstunde geschlagen, als er im Umhang herunterkam: «Ich habe noch zu tun», teilte er mit und rieb sich die Hände. «Zum Abendessen bin ich wieder zurück.»
    Hella nickte brav, ließ sich küssen und wartete am Fenster, bis ihr Mann um die nächste Ecke verschwunden war. Dann ging sie ins Schlafzimmer, wühlte in ihren Unterkleidern, bis sie den nagelneu glänzenden Schlüssel gefunden hatte,und schlich in des Richters Arbeitszimmer. Die Protokolle lagen allesamt auf dem Schreibtisch. Hella nahm Platz, las, was die Zeugen gesagt und der Scharfrichter erklärt hatte. «Keine Auffälligkeiten in der Umgebung. Kein Anzeichen von Gewalt. Selbstmord wahrscheinlich. Erbitte Freigabe der Leiche und ihres Nachlasses», hatte der Henker geschrieben. Auch der Stadtmedicus war der Ansicht, dass es keine Anzeichen von Fremdeinwirkung gegeben hatte. Ja, er verstieg sich sogar zu der Aussage, dass der Hund womöglich deshalb am Galgen hing, weil die Selbstmörderin sich ihrer Tat im Vorfeld zu sehr geschämt hatte.
    Hella las jedes Papier zweimal, dann legte sie alles wieder so hin, wie es der Richter hinterlassen hatte, und machte sich auf den Weg zu ihrer Mutter.

Kapitel 2
    Das Mädchen hielt den Blick gesenkt. Den ganzen langen Weg sah sie nicht auf. Sie hing an der Hand ihrer Mutter, wurde von ihr vorwärtsgezerrt, manchmal von hinten gestoßen.
    «Verstocktes Balg, willst du wohl laufen? Soll ich dir Beine machen, oder was?»
    Schon traf sie ein Schlag hinter dem Ohr, dass sie aufheulte. Ihr Arm tat weh, doch die Mutter zerrte weiter daran, zerrte so kräftig, dass das Mädchen stolperte und hinfiel. Sie lag auf dem Boden, ihre Hand hing noch immer am Mutterarm. Da traf sie ein Tritt in die Seite. «Los, steh auf, Hurenkind, verfluchter Bastard. Erheb dich, sonst trete ich dir in den Arsch!»
    Das Mädchen rappelte sich hoch. Es hätte gern geweint, verbiss sich aber die Tränen. Ganz starr war sein Gesicht, zugesperrt wie die Türen an den Bürgerhäusern in der Stadt.
    Die Mutter fluchte, spuckte aus, zog den Rotz hoch und spuckte noch einmal, dann zerrte sie das Kind weiter.
    Als sie das Stadttor erreicht hatten, öffnete die Mutter ihr Mieder so weit, dass die Brüste darin lagen wie Äpfel in der Auslage. Sie griff in die Tasche ihres billigen Kleides, das nach Dingen roch, die das Mädchen nicht benennen konnte, aber kannte, seit es lebte, und schmierte sich eine rote Paste auf die Lippen.
    «He, ihr!», rief die Mutter den Torwächtern zu und bleckte die Zähne. «Macht das Brett auf, wenn eine Frau kommt, um in die Stadt auf den Markt zu gehen.»
    Sie ließ das Kind los und drängte ihren Körper gegen einen der Torwächter. Der griff in das Mieder und knetete die Brüste der Frau, dass sie quiekte.
    «Lass das, du Flegel!», schrie die Frau und kicherte.
    Der andere Torwächter griff ihr unter den Rock und grölte: «Du musst Torpfand bezahlen, sonst bleibst du, wo du hingehörst.»
    «Torpfand, soso!», lachte die Mutter, strich dem einen über die Schenkel, dem anderen über die Brust. «Was stellt ihr euch da vor, he?»
    «Ich wüsst’ schon was», rief der eine, doch der andere hatte sich losgemacht.
    «Ach, komm, lass sie durch», sagte er. «Wer weiß, welche Krankheiten sie an sich hat. Besser ist’s, sie nicht anzurühren.»
    «Oho!», lachte die Mutter. «Bist du noch unschuldig? Kennst du die Liebe noch nicht? Und hast deshalb Angst, wie?»
    Das Mädchen sah, dass der Torwächter rot wurde. Die Mutter kreischte auf: «Eine Jungfrau, ich wusste es doch. Komm zu mir, mein Schöner, komm zu mir in der Nacht, dann reite ich dich zu, dass du die Englein im Himmel singen hörst.»
    «Geh weiter, Weib. Mach, dass du hier wegkommst», sagte nun auch der andere, stieß die Mutter von sich, dass sie ins Taumeln geriet. Sie fiel, im Fallen verschob sich der Rock, zeigte die nackten Schenkel, den offenen Schoß.
    Das Mädchen senkte den Kopf, hörte die Torwächter grölen, sah sie den Mund aufreißen, die Köpfe nach hintenwerfen und sich auf die Schenkel schlagen. Die Mutter rappelte sich hoch und griff nach dem Mädchen.
    «Komm!», sagte sie barsch und zog das Kind weiter.
    Kaum hatten sie das Tor hinter sich
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