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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter
Autoren: Ines Thorn
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Farben zurück. Schluss mit all dem Grau und Braun und Schwarz. Sie bückte sich nach einem Veilchen und strich zärtlich lächelnd über die Blütenblätter. Durch die Töngesgasse gelangte sie zum Liebfrauenberg und klopfte an die Tür des Pfarrhauses.
    Ihre Mutter Gustelies öffnete ihr, die Arme bis zu den Ellbogen nass, ein Messer in der einen, ein Kräuterbund in der anderen Hand.
    Hella küsste ihre Mutter auf beide Wangen, dann schlüpfte sie ins Haus und folgte ihr in die Küche.
    «Sag nichts», bat Gustelies. «Ich muss überlegen! Die Kräuterfrau hat mir heute zum ersten Mal in diesem Jahr die Kräuter für die Grüne Soße gebracht. Aber es sind nur sechs. Eines fehlt. Hmm. Ich habe Petersilie, Schnittlauch, Sauerampfer, Borretsch, Kresse und Estragon. Was, in Gottes Namen, fehlt hier? Ich komme einfach nicht drauf.»
    «Kerbel», erwiderte Hella und ließ sich auf der Küchenbank nieder. Sie nahm einen Becher und goss sich Wasser aus dem Krug ein.
    «Kerbel!» Gustelies schlug sich leicht mit der Hand vordie Stirn und verteilte dabei Kräuterschnipsel auf Gesicht und Kleidern. «Kerbel! Natürlich!»
    Stolz betrachtete sie ihre Tochter. «Du hast das Talent zum Kochen von mir.»
    Hella lachte. «Ich kann gar nicht kochen.»
    Gustelies winkte ab. «Du hast es noch nicht versucht, weil ich dir viel zu oft die Mahlzeiten für dich und deinen Mann mitgebe. Aber wenn du musst, dann kannst du. Das steht fest!»
    Sie nahm eine Schüssel vom Bord und holte einen Holzlöffel aus einer Lade. «Die Soße muss schön langsam gerührt werden», erklärte sie. «Man nimmt dazu Sahne, ein wenig Öl und ein paar rohe Eigelb. Immer schön rühren, dann wird sie sämig und ist gut für die Körpersäfte. Für die Grüne Soße brauche ich nur die Petersilienblätter. Aus den Stängeln werde ich einen Petersilientrank nach einem Rezept der Hildegard von Bingen bereiten. Der Trank stärkt das Herz, und ich hoffe, Pater Nau weiß meine Bemühungen zu schätzen.»
    «Pater Nau und Hildegard von Bingen!» Hella kicherte leise. «Du weißt schon, dass der Pater die Heilige vom Rupertsberg nicht ausstehen kann!»
    Gustelies zuckte mit den Achseln.
    «Was willst du? Er ist ein Mann! Männer mögen keine klugen Frauen.»
    «Ich weiß», erklärte Hella. «Und auf die Hildegard reagieren sie wirklich empfindlich. Ich werde nie vergessen, wie es war, als du den Pater mit den Erscheinungen der Hildegard vertraut machen wolltest. ‹Wenn einer Erscheinungen hat, muss er sich vom Stadtmedicus behandeln lassen. Besonders, wenn ihm der Herrgott selbst erscheint. So weit kommt es noch, dass die Weiber sich daranmachen, GottesWort auszulegen. Da könnte man ja gleich ein Orakel aus dem Hühnerdreck lesen›, hat er gewettert.»
    «Und ich habe geantwortet, was ich schon deinem Vater   – Gott hab ihn selig – zu Lebzeiten zu diesem Thema gesagt habe: Gott, so sagt auch Hildegard, zeigt sich in den Schwachen, nicht in den Starken. Selbst der Papst hatte das damals begriffen, und der große Kreuzzugsprediger und Zisterzienser Bernhard von Clairvaux hat ihm zugestimmt. Beide haben Hildegard als Prophetin bestätigt. Du, da wurde dein Vater plötzlich recht still. Genau wie mein Bruder, Pater Nau.»
    «Weshalb du, Mutter, alles, was du durchsetzen willst, der heiligen Hildegard in die Schuhe schiebst. Ich kann mich noch genau erinnern, wie es war, als du damals diesen schön geschnitzten Eichenschrank haben wolltest. ‹Im Schnitzwerk eines Schrankes›, hast du Hildegard angeblich zitiert, ‹offenbaren sich die Aufträge Gottes an den Menschen. Wo sonst als in seinem Heim können diese sich offenbaren?› Du hast den Schrank bekommen, aber ich glaube, Vater hat an dieser Stelle deinen Schwindel durchschaut.»
    «Aber natürlich hat er das», gab Gustelies stolz zu und schwenkte den Kochlöffel. «Schließlich bin ich nicht die Witwe eines Dummkopfes. Trotzdem hat mir Hildegard schon manchmal im Leben geholfen. Sie ist eben meine ganz persönliche Schutzheilige. Was soll ich da machen?»
    Gustelies riss die Tür zur Vorratskammer auf, um die Eier zu holen, doch Hella unterbrach sie: «Wir haben einen neuen Fall, Mutter. Eine tote Hübschlerin. Mein Heinz denkt, es wäre Selbstmord, aber ich schwöre dir, die Frau hat sich nicht selbst gerichtet. Wir müssen zum Galgenberg.»
    Enttäuscht ließ Gustelies die Eier sinken. «Heilige Hildegard!Jetzt gleich?», fragte sie. «Und was wird aus meiner Soße?»
    «Die muss warten.»
    Gustelies
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