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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter
Autoren: Ines Thorn
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sondern in die Küche verbannen, damit ich der Köchin Anweisungen gebe. Ausgehen dürfte ich höchstens in die Kirche, und als Freundinnen hätte ich nur die anderen ehrbaren Richtersgattinnen.»
    Ihre Mutter hatte gelacht. «Was findest du an meinen Freundinnen, den ehrbaren Richtersgattinnen, so schlecht?»
    «Dass sie deine Freundinnen sind, Mutter. Deine, nicht meine.»
    Schließlich war Hella sogar in Tränen ausgebrochen, hatte des Nachts von heimlicher Flucht mit dem Kaufmannssohn geträumt, aber ihr Vater ließ nicht locker. Dann hatte sie eines Tages auf dem Markt erfahren, dassder Kaufmannssohn heiraten würde. Eine Kaufmannstochter selbstverständlich. Reich, verwöhnt und dumm wie die Nacht dunkel. Da war Hellas Eigenwille geschmolzen wie der Schnee im Frühling. Vier Wochen später war sie die Ehefrau von Richter Heinz Blettner geworden.
    In den ersten Tagen nach ihrer Verlobung hatte sie sich geweigert, mit ihm zu sprechen, und der Hochzeitsnacht mit Grauen entgegengesehen. Aber als der Richter ihr zur Hochzeit eine in rotes Saffianleder gebundene Ausgabe von Dantes «Göttlicher Komödie» geschenkt und ihr die ganze lange Hochzeitsnacht daraus vorgelesen hatte, war Hella ein wenig friedfertiger geworden. Zuerst wurde ihr seine Gegenwart, wie sie sagte, «erträglich», dann hatte sie begonnen, ihn zu mögen. Ganz allmählich aber hatte sie ihn liebgewonnen. Und heute liebte sie ihn mit einer Mischung aus Schwestern- und Eheliebe.
    Sie ertrug die Nächte mit Heinz immer besser, aber das Begehren hatte sich bei ihr bisher noch nicht eingestellt. Wenn Hella ganz ehrlich zu sich war – und das war sie nicht eben häufig   –, so musste sie zugeben, dass ihre Kinderlosigkeit womöglich damit zu tun hatte, dass sie den geschlechtlichen Akt immer recht hastig hinter sich zu bringen gedachte. So hastig, dass Heinz Blettner nur sehr wenig Zeit blieb, seinen Samen in ihrem Schoß zu versenken.
     
    «Was hast du gemacht am Nachmittag?», fragte der Richter.
    «Oh, ich war bei meiner Mutter. Gemeinsam waren wir vor den Stadttoren, um Kerbel für die Grüne Soße zu suchen.»
    «Und ihr habt nicht zufällig in der Nähe des Galgenbergesgesucht?», fragte Blettner und drückte seiner Frau einen Kuss auf das Haar.
    Hella machte sich ein wenig los. «Was kann ich dafür, dass gerade dort der beste Kerbel wächst? Hättest du deine Leiche in Bornheim gefunden, wären wir aus dem Schneider. So aber denkst du sofort, wir hätten wieder geschnüffelt.»
    «Ja! Genau das denke ich. Und? Was habt ihr gefunden?»
    Hella seufzte. «Nichts. Nichts außer einem Stofffetzen auf einer Strebe des Törchens.»
    «Aha! Und zu welchem Urteil habt ihr euch durchgerungen?»
    «Nun, ich glaube noch immer nicht an Selbstmord. Der Hund am Galgen stört mich. So etwas macht keine Selbstmörderin. Aber Mutter meinte auch, dass es sich vielleicht tatsächlich um Selbstmord handeln könnte.»
    «Nun, ich werde morgen, am Donnerstag, dem Rat diesen Fall und mein Ergebnis vortragen. Für mich steht fest: Selbstmord. Dann wird der Scharfrichter die Dirne in ein Fass stecken und in den Main werfen. Am Abend ist die ganze Sache vergessen. Ich bin froh, Hella, dass wir diesmal, wenn schon nicht zu einem einhelligen Ergebnis, so doch wenigstens ein wenig mit unseren Urteilen übereinstimmen.»
    «Ist das nicht furchtbar?», fragte Hella.
    «Dass wir uns einig sind?»
    «Nein, dass ein Mensch stirbt und nichts von ihm bleibt. Es ist, als hätte sie nie gelebt, diese Frau. Oder so, als wäre sie schon sehr lange tot.»
    Der Richter zog die Stirn in Falten. «Welchen Sinn das Leben hat und ob etwas davon bleibt, wenn man selbst dasZeitliche gesegnet hat, liegt in der eigenen Verantwortung. Du irrst vielleicht, Hella. Es kann gut sein, dass auch die Hure irgendwo jemanden hat, der sie jetzt vermisst.»
    «Ja», stimmte Hella zu. «Aber ich kann es mir bei Gott nicht vorstellen.»

Kapitel 4
    Das Mädchen war gewachsen, sodass es nicht mehr in das verwaschene Tuch passte. Sie reichte der Mutter schon bis zum Kinn.
    Die Mutter kam mit einem alten Kleid von ihr selbst. Einem Kleid, vor dem das Mädchen sich ekelte. Die Mutter hatte es meist getragen, wenn sie mit den Männern in die Kammer ging. Wie oft hatten Männerhände daran gezerrt, den Stoff einfach über die Schenkel geschoben, darauf gekeucht, gestöhnt, gesabbert und gesamt?
    «Zieh dich aus», befahl die Mutter. «Nackt will ich dich sehen. Muss schauen, ob bald etwas mit dir anzufangen
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