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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter
Autoren: Ines Thorn
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erleichtert auf.
    «Sieh dich jetzt schon um. Eine Frage ist es nämlich, wie der Mörder die Tote über das Törchen gebracht hat»,bemerkte Hella überflüssigerweise, denn Gustelies hockte schon am Boden und betrachtete mit Argusaugen das Gras ringsum.
    Hella dagegen untersuchte jede einzelne Strebe des Tores. «Hier!», sagte sie und pflückte ein winziges Stückchen von rotem Stoff ab, das sie ordentlich in ihrem Korb verstaute. «Das kann vom Kleid der Hure stammen.»
    «Stimmt. Aber das könnte sie auch verloren haben, als sie selbst und lebend über das Törchen gestiegen ist.»
    Jetzt betrachteten beiden Frauen aufmerksam den Boden. Gustelies roch an der Erde, während Hella jeden liegenden Grashalm aufrichtete und darunter schaute.
    «Es gibt keine Hinweise, dass hier jemand eine Tote entlanggeschleift hat», stellte Hella mutlos fest.
    «Würdest du eine Tote hinter dir herschleifen? Das macht niemand. Denk an die Arbeiter unten im Mainhafen. Die laden sich die Säcke auf den Rücken. Also wird der Mörder sich die Tote auch auf den Rücken geladen haben. Oder   …» Sie brach ab.
    «Was oder?», wollte Hella von ihrer Mutter wissen.
    «Oder es ist, wie dein Mann sagt, Selbstmord.»
    Hella schüttelte zwar den Kopf und presste die Lippen aufeinander, aber auch sie hatte leise Zweifel bekommen. «Der Hund. Was ist mit dem Hund, he?»
    Gustelies zuckte mit den Achseln. «Ein Dummejungenstreich vielleicht, der nicht das Geringste zu bedeuten hat. Lass uns gehen. Ich muss noch Kerbel für die Soße finden.»
     
    Hella war noch immer missmutig, als sie am Abend nach Hause kam. Der Richter war schon da und saß, die Hände auf dem Bauch verschränkt und die Augen fest geschlossen,in der Wohnstube in einem Lehnstuhl. Er hatte die Beine weit von sich gestreckt. Im Kamin knisterten ein paar Holzscheite, auf einem Tischlein standen griffbereit Weinkrug und Becher.
    Ein paar Augenblicke lang betrachtete Hella ihren schlafenden Mann. Seine buschigen Brauen, die von derselben Farbe waren wie das Haar, welches bis auf den Kragen hing, und der Bart, der ordentlich gestutzt war. Am Kinn hatte Blettner ein Grübchen, und an der linken Schläfe sah man, wenn man genau hinblickte, eine blaue Ader, die anschwoll, wenn Blettner sich ereiferte. Doch das hatte Hella erst einmal erlebt.
    Sachte trat sie neben ihn und streichelte seine Wange. «Lieber, ich bin da. Wir wollen zu Abend essen.»
    Der Richter schlug die Augen auf, lächelte, als er seine Frau sah, zog sie zu sich auf den Schoß und streichelte ihr Haar. Hella kuschelte sich an seine breite Brust und ließ sich herzen. Keiner von beiden sprach ein Wort dabei, doch die Blicke, die sie wechselten, waren warm und voller Freundlichkeit. Zwei Jahre waren sie nun schon miteinander verheiratet. Zwei Jahre, von denen Hella befürchtet hatte, sie würden nie vergehen. Es war ihr Vater gewesen, der unterdessen verstorbene Richter Kurzweg, der ihr den Mann ausgesucht und sie verheiratet hatte. Sosehr sie auch gebeten hatte, der Vater war unerbittlich geblieben. «Du heiratest Heinz Blettner, oder du gehst ins Kloster. Du hast die Wahl.»
    Hella aber hätte gern noch ein wenig gewartet mit dem Heiraten. Sie wollte die Liebe kennenlernen. Sie wollte so vieles noch kennenlernen. Ihr Vater hatte ihr stets erlaubt, Bücher zu lesen, hatte sie zuerst selbst unterrichtet, hernach in eine Nonnenschule gegeben. Dort erst hatte siegelernt, dass die Frau weniger wert war als der Mann, dass die Frau, wie der Apostel Paulus sagte, dem Manne untertan sei. Vor allem aber wollte sie Menschen kennenlernen. Auch Männer. Und eben die Liebe. Es gab da einen jungen Mann, der sie verwirrte, wann immer sie ihn sah. Der Sohn eines Kaufmanns war er und wohnte gerade eine Straße weiter. Auch er hatte sie bemerkt, hatte ihr so manches Lächeln geschenkt, einmal sogar eine Blume. Er war schön, dieser Kaufmannssohn, und jung. Heinz Blettner war ein Mann, dessen Aussehen nicht durchschnittlicher hätte sein können. Und er war zehn Jahre älter als sie.
    «Ich werde Richter Blettner nicht heiraten. Niemals. Da könnte ich mich gleich lebendig begraben lassen.»
    «Aber Kind, Richter Blettner ist ein angesehener Mann!», hatte ihr Vater eingeworfen.
    «Ja, und so langweilig wie ein verregneter Nachmittag im November. Würde ich ihn heiraten, so wäre schon bald ein Tag meines Lebens wie der andere. Voll unterträglicher Banalität und Langeweile. Wahrscheinlich würde er mich nicht einmal lesen lassen,
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