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Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)

Titel: Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)
Autoren: Erik Kellen
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Der König von Brooklyn
     
    Die Sonne ging eben unter, als sie den Toten im Fluss versenkten. Die letzten Kettenglieder rasselten über die Bordwand, dann ein Glucksen zum Abschied und der Leichnam verschwand im East River, auf dem die Dämmerung feurige Flammen in Rot und Gold malte, die eines Bildes von William Turner würdig waren.
    Die Männer beteten kurz aber aufrichtig, dann war es Zeit, sich wieder um die Geschäfte zu kümmern.
    Leonardo Szuda war ein gefährlicher Mann. Das musste er auch sein, denn er war der Herrscher über halb New York, einer Stadt, die Träume wahr werden ließ, während sie einen anderen dabei zerschmetterte. Er saß nachdenklich auf der Heckreling und drehte ein Glas Wein in den Strahlen des Sonnenuntergangs. Die rote Flüssigkeit darin färbte die geschliffenen Facetten zu wundervollen Rubinen, ein beruhigender angenehmer Anblick, nach einer recht ruchlosen Tat. Er stand auf und warf das Glas samt Inhalt ebenfalls in den Fluss. Wie viele davon lagen dort unten bereits? Er wusste es nicht, dafür hätte er die Bücher konsultieren müssen, unter der Spalte: Endgültiger Warenausgang. Szuda gab ein Zeichen und einen Augenblick später tuckerte der alte Kutter zurück Richtung Brooklyn Bridge.
    Die Sonne verschwand. Sie war nicht länger Teil dieser Stadt, nur ein sinkendes Beleuchtungsinstrument, das bestimmten Bahnen folgte. Nichts, wofür man bezahlen musste.
    Das Schiff legte an, unter einem vernieteten Dach aus bannverstärktem Kupfer, hinein in eine diffuse Düsternis aus Schatten. Pier 54. Des Königs Lagerhaus.
    Leonardo Szuda ging von Bord, schritt eine eiserne Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock, wo er einen Fahrstuhl bestieg. Dozer, sein afrikanischer Leibwächter, stand stumm neben ihm, als sie in den Dritten fuhren, schob die Ziergitter beiseite und lugte in den Flur, bevor er nickte. Dicker, roter Teppich dämpfte die Schritte des Königs, er öffnete eine mechanisch verriegelte Tür, die summend aufsprang und betrat den Kartenraum, wie er das Zimmer heimlich nannte. Denn diese Stadt war wie eine Reise durch die Wildnis und sie bedurfte eines guten Kartenlesers, damit man auch dort ankam, wo man ankommen wollte.
    Leonardo setzte sich hinter seinen Schreibtisch, der aus der Auflösung eines Büros für den Vertrieb von Dachziegeln stammte. Er war einfach, effizient, nur leicht benutzt und billig gewesen. Man konnte noch die Abdrücke der Schreibmaschine erkennen, die viele Jahre lang darauf gestanden hatte. Sonst war der Tisch tadellos. Vor ihm lagen die aktuellen Kontobücher und eine offene Blechdose mit Cantuccini, seinem Lieblingsgebäck, sowie einer frisch gebrühten Tasse Kaffee, kein Zucker, keine Milch. Er knipste die Pulverlampe an, nippte einen Schluck, nahm sich einen Keks und schlug das erste Kontobuch auf.
    Mit einem Lineal aus Holz fuhr er Zeile für Zeile die Zahlen ab, machte sich mit einem Stift Notizen in einem schmalen, schwarzen Büchlein, wenn er etwas entdeckte, das seinen Unwillen hervorrief oder einer weiteren Nachforschung bedurfte. Doch dieses Mal schien so gut wie alles in Ordnung zu sein, New York war auf einem angemessenen Weg.
    Um einundzwanzig Uhr brachte ihm Dozer einen Teller Suppe, nur leicht gewürzt, mit etwas Weißbrot.
    Es war kurz nach Mitternacht, als es an der Tür klopfte. Leonardo legte die Lupe zur Seite - er hatte sich gerade die ersten Zeichnungen der Stadt New York aus der Vogelperspektive angesehen - schnaufte ungehalten, erteilte aber ein Herein. Das vernarbte Gesicht seines Leibwächters blickte unsicher durch den Spalt der Tür, malte mit den Lippen Worte, die aber nicht über seine Zunge kamen.
    »Was ist denn?«, fragte Leonardo, der mit ruhigen Bewegungen die Mappe zuklappte. Als Antwort schob Dozer einen Mann herein, der offensichtlich eine Audienz erbitten wollte. Leonardos Züge entspannten sich.
    »Nummer 3, wie schön Sie zu sehen!« Der König von Brooklyn machte eine einladende Geste. Die Fenster hinter ihm, jene, die zur Straße hinausgingen, waren mit Jalousien aus Holz versehen, zusätzlich zog er nun auch noch die schweren samtenen Vorhänge davor. Niemand brauchte zu wissen, dass er die Nummer Drei der Homeland-Guards in seinen Geschäftsräumen empfing. Natürlich kannte Leonardo den richtigen Namen des jungen Mannes: Porter Wittfield, ein tüchtiger Bursche, der es einmal weit bringen konnte. Er war von Nr. Sieben bis zur Nr. Drei aufgestiegen. Porter war sich nie zu schade gewesen, immer wieder
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