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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter
Autoren: Ines Thorn
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selbst hängt ein Hund.»
    «Ist die Tote eine Jüdin?»
    «Nein, Herr, das ist es ja. Eine alte Hure scheint sie zu sein.»
    «Hmm!» Der Richter kratzte sich am Kinn. «Was soll der Hund am Galgen? Kennzeichen der Juden ist er. Nur wenn ein Jude gehängt wird, hängt man einen Hund daneben. Merkwürdig.»
    «Das sage ich ja. Deshalb bin ich gleich zu Euch gekommen. Allerdings gilt woanders der Hund als Zeichen des größten Ehrverlustes. Mancher Unhold, der seine Ehre verloren hatte, wurde neben einem Hund gehängt.»
    «Ja, ja. Woher weißt du von der Toten?»
    «Ein Beisasse ist auf dem Weg zur Arbeit am Galgenberg vorbeigekommen, hat die Leiche gefunden und es sogleich am Tor gemeldet. Und ich bin zu Euch gekommen.»
    «Woher weißt du, dass es eine Hure ist, die da liegt?»
    «Der Beisasse sagt, sie trägt einen gelben Schleier, das Hurenzeichen.»
    Der Richter klopfte dem Torwächter auf die Schulter. «Du bist ein braver Kerl, hast alles richtig gemacht. Ich werde es im Rat erwähnen. Komm heute Nachmittag ins Malefizamt, damit der Schreiber deine Aussage, den Fund betreffend, zu Protokoll nehmen kann. Sieh zu, dass du den Beisassen an deiner Seite hast.»
    Er seufzte, rieb sich das Kinn, dann fügte er hinzu: «Ach ja, Torwächter, noch was. Sag dem Scharfrichter und dem Stadtmedicus Bescheid. Sie sollen sich hier einfinden. Aberum Gottes willen nicht sogleich. Wenigstens frühstücken will ich in Ruhe.»
    Der Torwächter nickte eifrig. «Eure Frau macht schon die Morgengrütze. Die Magd hat heute frei, meinte sie.»
    «So, meinte sie das.» Richter Blettner öffnete die Tür und lauschte in den Gang. «War da was? Hast du was gehört?», fragte er.
    Der Torwächter nickte. «Das Rascheln einer Maus hörte ich.»
    «Oder das Rascheln von Kleidern», überlegte der Richter und seufzte. «Dieses Weib!»
    Dann brachte er den Torwächter zur Haustür und ging in die Küche. Die Magd stand am Herd und rührte in einem Kessel. Hella saß wie die Unschuld selbst auf der Küchenbank und wischte mit einem Tuch die Tonbecher trocken. Es roch nach Grütze und heißer Milch, nach Scheuersand und ganz zart nach den Kräutern, die in einem Fensterbeet wuchsen. Der Richter sah sich um, reckte sich noch einmal. Er liebte diese Morgenstunde, in der das Haus noch blitzsauber war, die Töpfe und Pfannen glänzend an einem Gestell hingen, der Küchentisch frisch gescheuert, die Borde voll sauberen Geschirrs und die Vorratskammer wohlgefüllt war.
    «Nun?», fragte Hella. «Ist alles in Ordnung? Hast du gut geschlafen?»
    Der Richter brummte. «Hast du dem Torwächter nicht erzählt, die Magd hätte heute frei?»
    Noch bevor Hella antworten konnte, fiel ihr die Magd ins Wort. «Frei? Ich? Mitten in der Woche? Das ist noch nie vorgekommen, solange die Welt sich dreht!»
    «Ja, dann muss ich mich wohl getäuscht haben», erwiderte Hella und bearbeitete den Becher, als wollte sie ihnaufreiben. Dann nahm sie das Buttergefäß und rückte es hin und her.
    Der Richter wandte sich an die Magd. «War meine Frau die ganze Zeit in der Küche?»
    Hinter seinem Rücken legte Hella einen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf.
    «Wie? Da?», fragte die Magd töricht und blickte von einer Ecke in die andere.
    «Hier in der Küche.»
    Die Magd sah zwischen Hella und dem Richter hin und her, dann sagte sie ein bisschen zögernd: «Nun, fort war sie nicht gerade.»
    «Aber so richtig da auch nicht, wie?»
    «Eine gute Hausfrau muss immer und überall zugleich sein», fiel Hella der Magd ins Wort.
    «Ach was?» Der Richter setzte sich und drohte ihr mit dem Finger.
    «Ich habe überhaupt nichts getan», verteidigte sich die junge Frau, senkte dann aber doch den Blick.
    Die Magd brachte die Grütze und Honigmilch, und kaum hatten sie das Frühstück hinter sich gebracht, klopften der Stadtmedicus und der Scharfrichter an die Tür.
    Der Richter sprang auf. «Ich muss weg. Wartet mit dem Essen nicht auf mich.»
    «Willst du nicht deine Amtsrobe anziehen?», fragte Hella. «Schließlich bist du amtlich unterwegs.»
    «Du hast also doch gelauscht!», stellte der Richter fest und zog die Stirn in Falten. Aber dann ging er zu ihr, küsste sie herzhaft und verschwand.
     
    Der Knecht hatte des Richters Pferd schon aus dem Stall geholt und hielt es am Zügel. Blettner wünschte Gott zumGruße, vermied es aber, dem Scharfrichter die Hand zu geben. Niemand gab dem Henker jemals die Hand, um nicht, wie der Mann selbst, ein Unehrlicher, Ehrloser zu
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