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Am Ende eines Sommers - Roman

Am Ende eines Sommers - Roman

Titel: Am Ende eines Sommers - Roman
Autoren: Isabel Ashdown
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    Teil EINS
     
    Jake,
    November 1984
    Ich liebe den November. Ich liebe das bereifte Gras, das zwischen den Gehwegplatten herausguckt, und den Dampf, der einem aus den Nasenlöchern wölkt wie der Atem eines Drachen. Ich liebe die Eisbahn, die auf dem Schulhof unter der kaputten Dachrinne gefriert und wartet. Und ich liebe die nach Salz und Essig duftende Hitze in einem lauten Pub, wenn draußen alle mit Hüten und Handschuhen und roten Triefnasen herumlaufen.
    An diesem einen Samstagnachmittag sind Dad und ich unten im Royal Oak, um uns das Spiel anzusehen. Dad erzählt Eric, dem Wirt, ich wäre vierzehn. So kann ich mit in die Bar kommen, solange ich nur Coke trinke. Nicht, dass ich das haben wollte, was alle trinken.
    Dad schreit herüber: »Willst du ’ne Tüte Nüsse, Jakey?«, und ich strecke an dem Ecktisch, den wir gekapert haben, den Daumen hoch. Es ist klasse heute, weil Dad und ich alleine sind. Andy ist auf irgendeinem langweiligen Pfadfinderausflug und kommt erst zum Tee zurück. Und Matthew, na ja, der ist vor ein paar Wochen einfach verschwunden. Eines Morgens stand ich auf und ging in Matts Zimmer, um ihn mit dem Furz zu wecken, der sich da in mir zusammenbraute. Das bringt ihn jedes Mal um. Jedenfalls, an dem Morgen ging ich in sein Zimmer, und er war nicht da. Sein Bett war leer. Seine Schubladen auch. Er hatte alle seine Kleider und Schallplatten mitgenommen, deshalb wusste ich, dass er nicht vorhatte, bald wiederzukommen. Sogar sein Aftershave war weg. Als ich zu Mum kam und es ihr sagte, meinte sie: »Er kommt schon wieder, wenn er Hunger hat.« Dann drehte sie sich um und schlief weiter. Aber er ist nicht zurückgekommen. Dad sagt, mit siebzehn ist er alt genug, um auszuziehen, wenn er will. Aber ich weiß, Dad wüsste gern, wo Matt ist. Der Punkt ist, er hat es mit Mum nicht mehr ausgehalten, und Dad wohnt immer noch in seinem möblierten Zimmer und konnte ihn nicht zu sich nehmen. Ideal ist das nicht, sagt Dad, aber was kann man machen? Das Schlimmste ist, Matt hatte gerade mit dieser Ausbildungssache angefangen, wo er eine Maurerlehre machen sollte. Da würde er ein Vermögen verdienen, sagte er. Ich wünschte, er würde anrufen oder so. Dann könnte ich ihn fragen, ob es das Ausbildungsprogramm auch da gibt, wo er jetzt ist.
    »Bitte sehr, Jake, mein Junge.« Dad stellt die Getränke auf den runden Tisch und lässt sich nieder. »Von hier aus müssten wir gut sehen können, Sohnemann. Hast du den neuen Fernseher gesehen, den Eric da über der Bar hat? Erstklassig – Teletext, 18-Zoll-Bildschirm, Fernbedienung – das volle Programm. Für so einen sollte ich mal sparen, meinst du nicht, Junge? Trinitron.«
    Ist wirklich eine schöne Kiste.
    »Und, was gibt’s Neues, Jakey? Wie läuft’s in der Schule? Immer noch in der Fußballmannschaft?«
    Das ist einer der Gründe, weshalb ich Dad gernhabe. Alle seine Fragen sind total einfach, und nie geht uns der Gesprächsstoff aus.
    »Ja, alles okay. Weil wir jetzt im zweiten Jahr sind, nehmen wir das klassische Altertum durch, und das ist super. Wir sind gerade bei Odysseus. Der macht große Reisen, und er muss Ungeheuer umbringen und Ozeane überqueren, nur um nach Hause zu kommen. Da gibt’s einen Zyklopen und Seeungeheuer und haufenweise andere Monster. Das ist super – würde dir gefallen, Dad. Ich glaube, das ist jetzt mein bestes Fach. Miss Terry gibt uns griechische Namen, während sie uns besser kennenlernt. Simon Tomms ist Poseidon, Emma Sullivan ist Artemis. Sie überlegt noch, wie ich heiße.«
    »Deiner Mum zuliebe musste ich die Odyssee lesen, als wir miteinander gingen. Und die Ilias .« Er trinkt einen Schluck Bier und schmatzt laut. » Jason und die Argonauten würde dir gefallen, Sohnemann. Das ist mal ein guter Film. Da gibt’s eine Stelle, wo die Argonauten sieben Skeletten begegnen, die aufstehen, Schwerter schwingen und marschieren wie Totensoldaten. Ich sage dir, das war eine der größten filmischen Leistungen des 20. Jahrhunderts, Jake. Und verdammt unheimlich war es außerdem. Das ist ein Film, der wird die Zeiten überstehen.« Er nimmt noch einen Schluck Bier und wischt sich mit dem Handrücken den Schaum von der Oberlippe, während er sich im Pub umsieht.
    »Und Mrs Jenkins hat mein Guy-Fawkes-Foto diese Woche für die Ausstellung im Flur ausgesucht. Sie sagt, es ist ›höchst originell‹.« Ich mache ihre hohe Stimme nach, um Dad zum Lachen zu bringen. »Jetzt wird es draußen aufgehängt, und alle können es
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