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Nehmen Sie doch Gift darauf!

Nehmen Sie doch Gift darauf!

Titel: Nehmen Sie doch Gift darauf!
Autoren: Carter Brown
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1
     
    Ich wußte schon am Morgen, daß
dieser Dienstag ein besonderer Tag in meinem Leben werden würde. Gleich nachdem
ich das Büro betreten und ein Fenster geöffnet hatte, um einen tiefen Zug des
köstlichen Miefs von Los Angeles zu inhalieren, riß mir — zack! — ein Träger
meines Büstenhalters.
    Derartige Vorkommnisse pflegen
die betroffenen Damen im allgemeinen in Verlegenheit
zu setzen, und tatsächlich bestätigte mir ein Blick in den Spiegel, daß sich
die rechte Hälfte meiner Oberweite ruckartig um fünf Grad verlagert hatte.
    Glücklicherweise ist Mavis
Seidlitz jedoch die typische Expfadfinderin, die allen Lebenslagen gewappnet
gegenübersteht. Und so hatte ich mein Nähzeug im untersten
Schreibtischschubfach. Allerdings erhob sich ein weiteres Problem. Ich wollte
nämlich nicht von Johnny Rio überrascht werden. Daher versteckte ich mich in
dem geräumigen Wandschrank seines Büros, wo er Golfschläger und ähnliche
Utensilien aufbewahrt. Eine Glühbirne im Schrankinneren verbreitete fast
trauliche Helle. Ich schob den Golfbeutel in eine Ecke und hockte mich auf die
Seitentasche mit den Bällen. Es war zwar nicht sonderlich bequem, aber Gott sei
Dank bin ich so gebaut, daß ich mich jederzeit auf meine eigene Polsterung
verlassen kann. Dann hängte ich meine Bluse an einen Haken, zog den
Büstenhalter aus und begab mich ans Nähen.
    Die Näherei hat immerhin ein
Gutes — nicht daß ich etwa den Beruf wechseln möchte —, aber sie gibt einem
Zeit zum Nachdenken. Während ich also ganz häuslich vor mich hinstichelte und
versuchte, die kühle Luft zu ignorieren, die mich von der Taille aufwärts
umgab, ließ ich meinen Gedanken freien Lauf. Seit ich mich wieder mit Johnny Rio
assoziiert hatte, war es genauso wie in alten Zeiten. Eigentlich war er
entschlossen gewesen, für immer in Detroit zu bleiben, und ich hatte mich
bemüht, unter dem Namen » Mavis Seidlitz Investigations « ein eigenes Unternehmen aufzuziehen.
Aber es war kein rechter Erfolg geworden, so daß ich froh war, als Johnny
zurückkam und erklärte, die Lage für Privatdetektive sei in Detroit auch nicht
anders als hier, und wir könnten daher wieder getrost unsere Partnerschaft als
»Rio Investigations « aufnehmen. Infolgedessen
arbeitete er einen wirklich großzügigen Vertrag aus, nach dem ich das gesamte
Kapital und er das gesamte Gehirnschmalz beizusteuern
hatte. Dafür durfte ich in meiner Eigenschaft als Juniorpartnerin auch noch die
Schreibarbeiten übernehmen.
    Plötzlich verwandelte sich die
sanfte Brise, die meine Oberweite umfächelte, in einen Hurrikan, und ich hörte
eine Stimme sagen: »Ich will nur meinen Mantel in den Schrank hängen, Mr.
Hatchik, und...«
    In meinem ganzen Leben war ich
noch nicht in einer so peinlichen Situation gewesen. Da hielt der blöde Johnny
Rio die geöffnete Schranktür in der Hand und starrte mich an, als sei ich von
der Steuerfahndung eingeschleust oder so etwas Ähnliches. Zu allem Überfluß
stand direkt neben ihm noch eine zweite Figur: ein kleiner Mickerling mit einem
Gesicht wie eine glattrasierte Ratte und einer riesigen Hornbrille. Die Farbe
seiner Augen war nicht zu erkennen, da seine Brillengläser bereits nach dem
ersten Blick auf mich völlig beschlugen.
    »Mavis?« Johnny starrte mich
an, als traue er seinen Augen nicht. »Mavis! Was, um Himmels willen...?«
    Ich konnte schließlich nicht
bis in alle Ewigkeit in derart mangelhaft bekleidetem Zustand sitzen bleiben.
Daher lächelte ich beiden Herren höflich zu, sagte »Guten Morgen«, packte die
Schranktür und zog sie wieder zu. Dann beeilte ich mich, meine Reparatur zu
beenden und meine Garderobe wieder zu vervollständigen.
    Es war gar nicht so einfach, in
Johnnys Büro hinauszutreten, als sei nichts geschehen, vor allem da mich die
beiden noch immer fasziniert anstarrten.
    »Hallo, die Herren!« Ich
schenkte ihnen ein strahlendes Lächeln.
    »Mavis ?« gurgelte Johnny. »Was hast du bloß halbnackt in meinem Schrank gemacht ?«
    »Ich war auf einer Konferenz«, erwiderte
ich, um dann schnell fortzufahren: »Der Schrank braucht übrigens dringend eine
Klimaanlage. Es ist schließlich kein Zustand, daß man sich die Kleider vom
Leibe reißen muß, um nicht zu zerfließen !«
    »Auf einer Konferenz?« Er
schloß sekundenlang die Augen, und sein gepeinigter Gesichtsausdruck ließ mich
vermuten, er säße vielleicht selbst auf der besonders scharfen Spitze einer
Gipfelkonferenz.
    »Ich bin Mavis Seidlitz«,
wandte ich mich
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