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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
Autoren: April Genevieve Tucholke
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Schlössern von der Muse küssen zu lassen … und den letzten Rest des Familienvermögens durchzubringen. Ich hoffte, dass sie bald wieder nach Hause kommen würden, und sei es nur aus dem einzigen Grund, dass dann vielleicht noch genügend Geld übrig war, um mir ein Studium an einer guten Universität zu ermöglichen. Irgendwo an einem schönen Ort mit einem weitläufigen grünen Campus, hübschen Säulengängen, einer altehrwürdigen Bibliothek und Professoren mit Ellbogenflicken auf den Jacketts.
    Aber große Chancen rechnete ich mir nicht aus.
    Meine Urgroßeltern waren Industrielle gewesen, die es schon in jungen Jahren an der Ostküste zu verdammt großem Reichtum und Wohlstand gebracht hatten. Sie hatten in Eisenbahnstrecken und Fabriken investiert – Geschäftszweige, die damals florierten. Und sie hatten ihr gesamtes Vermögen einem Großvater vererbt, den ich nie kennengelernt habe.
    Freddie und mein Großvater waren zu ihrer Zeit so ziemlich die reichsten Leute in Echo gewesen. Freddie hatte mir zwar erzählt, die Glenships wären sogar noch vermögender gewesen, aber ich fand, reich war reich. Grandpa baute ein großes Haus am Rand einer steilen Klippe, an deren Fuß sich die Wellen brachen. Er überredete meine ungestüme Großmutter dazu, ihn zu heiraten, und brachte sie hierher an die tosende See, damit sie bei ihm lebte und seine Kinder gebar.
    Unser Heim war zutiefst beeindruckend, würdevoll, elegant, riesig und wunderschön.
    Und es war vom Wind und vom Salzwasser gezeichnet, von Efeu überwuchert und vernachlässigt wie eine alternde Ballerina, die von Weitem jung und anmutig aussieht, aber aus der Nähe entdeckt man die ergrauten Schläfen, die Fältchen um die Augen und die kleine Narbe auf der Wange.
    Freddie taufte unser Haus Citizen Kane , nach dem alten Schwarz-Weiß-Klassiker mit seinen einzigartigen Kameraeinstellungen und dem herumstolzierenden und mit tiefer Stimme sprechenden Orson Welles. Aber ich fand den Film eher schwermütig. Deprimierend. Außerdem wurde unser Haus 1929 gebaut und Citizen Kane kam erst 1941 heraus, woraus man schließen kann, dass Freddie Jahre gebraucht hat, bis sie sich für einen Namen entschied. Vielleicht sah sie etwas in dem Film, das für sie eine Bedeutung hatte. Ich weiß es nicht. Warum Freddie entschied, die Dinge so zu machen, wie sie sie machte, blieb meistens ein Geheimnis. Selbst für mich.
    Freddie und mein Großvater lebten bis zu ihrem Tod in Citizen Kane. Und nachdem unsere Eltern nach Europa abgereist waren, zog ich in Freddies ehemaliges Schlafzimmer im zweiten Stock, wo ich alles ließ, wie es war. Noch nicht einmal ihren begehbaren Kleiderschrank räumte ich aus.
    Ich liebte mein neues Zimmer … den Waschtisch mit dem Spiegel, der so alt war, dass er alles verzerrt wiedergab, die niedrigen Sesselchen ohne Armlehnen, den kunstvoll gearbeiteten orientalischen Paravent. Ich liebte es, mich – einen Stapel Bücher zu meinen Füßen, die staubigen, bodenlangen Vorhänge zur Seite gezogen – in das Samtsofa zu kuscheln und durchs Fenster in den Himmel zu sehen. Wenn es dunkel war, tauchten die mit violetten Fransen gesäumten Lampenschirme alles in einen Farbton, der zwischen Flieder und Pflaume changierte.
    Lukes Zimmer lag im dritten Stock. Und ich glaube, es war uns beiden ganz recht, auf unterschiedlichen Etagen zu leben.
    In jenem Sommer, von dem ich erzählen will, ging Luke und mir allmählich das Geld aus, das unsere Eltern uns dagelassen hatten. Citizen Kane musste dringend neu gedeckt werden, bevor der darüber hinwegpeitschende Meereswind dem Dach vollends den Rest gab, und Luke und ich brauchten etwas zu essen. Also kam ich auf die großartige Idee, das Gästehaus zu vermieten. Ja, Citizen Kane hatte ein Gästehaus. Es stammte noch aus der Zeit, als Freddie am Hungertuch nagende Künstler gefördert hatte. Sie blieben immer für ein paar Monate, porträtierten sie und zogen dann in die nächste Stadt, zum nächsten Mäzen, der nächsten Flasche Gin.
    Ich hängte in Echo Zettel aus, auf denen ich nach einem Mieter für das Gästehaus suchte, hegte aber keine großen Hoffnungen, dass sich jemand melden würde.
    Ich irrte mich.
    Es war ein Tag Anfang Juni, an dem eine milde Brise wehte, als wolle der Sommer dem Frühling einen kleinen Denkzettel verpassen. Die Luft war schwer vom salzigen Hauch des Meeres. Ich saß auf der breiten Vortreppe mit Blick auf die Straße, die an der blauen Unendlichkeit entlangführte. Das massive
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