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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
Autoren: April Genevieve Tucholke
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meinen Flip-Flop vom rechten Fuß gleiten und tippte mit den Zehen auf die Steinstufen, sodass mein gelber Rock um meine Knie wippte. »Dann … willst du also das Gästehaus mieten?«
    »Deswegen bin ich hier.« River stützte einen Ellbogen auf das Dach seines schimmernden Wagens. Er hatte ein weißes Hemd an und eine schwarze Leinenhose. Bisher hatte ich gedacht, solche Hosen würden nur von stoppelbärtigen Spaniern in europäischen Filmen, die am Meer spielen, getragen. Jemand anderes hätte in dieser Kleidung vielleicht merkwürdig ausgesehen. Ihm stand sie.
    »Okay. Aber die erste Monatsmiete hätte ich gern in bar.«
    Er nickte, griff in seine Gesäßtasche, zog ein Lederportemonnaie heraus und klappte es auf. Ein dickes Bündel grüner Scheine quoll daraus hervor. So dick, dass er das Portemonnaie, nachdem er das Geld abgezählt hatte, kaum wieder zubekam. Dann ging er auf mich zu, griff nach meiner Hand und drückte fünfhundert Dollar hinein.
    »Willst du dir das Gästehaus nicht erst mal anschauen?«, fragte ich, ohne den Blick von den grünen Scheinen zu nehmen, und schloss fest die Finger darum.
    »Nein.«
    Ich grinste. River West grinste zurück, und mir fiel auf, dass seine Nase gerade, sein Mund dagegen geschwungen war. Das gefiel mir. Ich beobachtete, wie er mit dem geschmeidigen Gang eines Panthers – ja, eines Panthers – zum Kofferraum seines Wagens ging und zwei altmodische Koffer mit glänzenden Messingverschlüssen herausholte, die mit Ledergurten gesichert waren. Ich schlüpfte wieder in meinen rechten Flip-Flop, kam die Treppe hinunter und lief den schmalen, von Hecken gesäumten Pfad voraus, der an den von Efeu umrankten Fenstern entlang zum rückwärtigen Teil von Citizen Kane führte.
    Nur einmal warf ich kurz einen Blick über die Schulter und sah, dass River mir unaufgefordert folgte.
    Ich führte ihn am Atelier meiner Eltern, das in einem alten Schuppen untergebracht war, am verfallenen Tennisplatz und am alten Gewächshaus vorbei. Jedes Mal, wenn ich hier entlangging, hatte ich den Eindruck, dass das Anwesen noch heruntergekommener aussah als vorher. Alles war den Bach hinuntergegangen, seit Freddie gestorben war, und das lag nicht nur am fehlenden Geld. Irgendwie hatte Freddie es auch ohne Geld geschafft, das Haus in Schuss zu halten. Sie war unermüdlich gewesen, hatte sich beigebracht, wie man Klempnerarbeiten durchführte und schreinerte, um selbst alle Reparaturen erledigen zu können, und hatte täglich Staub gewischt und sauber gemacht. Wir waren da anders. Wir machten gar nichts. Außer zu malen. Auf Leinwände, wohlgemerkt, nicht auf Zäune oder Fensterrahmen.
    Dad hatte immer gesagt, Zäune streichen sei nur etwas für Tom Sawyer und andere ungewaschene Waisenkinder. Vielleicht war das nur ein Witz gewesen. Aber wahrscheinlich eher nicht.
    Aus den Rissen im rötlichen Belag des Tennisplatzes sprossen hellgrüne Grashalme und das Netz lag zusammengeknäult auf dem Boden und war mit altem Laub bedeckt. Wann hatte hier zuletzt jemand Tennis gespielt? Ich konnte mich nicht erinnern. Das Dach des Gewächshauses war eingestürzt – niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Scherben zusammenzufegen –, und an den Holzstreben rankten sich exotische Gewächse empor und reckten sich leuchtend blau, grün und weiß blühend dem Himmel entgegen. Früher war ich gern zum Lesen hierhergekommen. Ich hatte rund um das Haus so einige geheime Leseecken, die auch meine Lieblingsplätze zum Malen gewesen waren, bevor ich damit aufhörte.
    Vor dem Gästehaus blieben wir stehen. Das rote Backsteingebäude, das genau wie alles Übrige von Efeu überwuchert war, hatte zwei Räume, fließendes Wasser und Strom (wobei es mit dem Strom manchmal Probleme gab) und stand in einem spitzen rechten Winkel zum Hauptgebäude. Wenn man sich das Meer unter der Klippe als Mund vorstellt, dann war Citizen Kane die große weiße Nase zwischen dem Gästehaus als rechtem und den wild wuchernden Sträuchern als linkem Auge. Der Tennisplatz und das Gewächshaus saßen wie zwei Muttermale auf der rechten Wange.
    Wir gingen hinein und schauten uns um. Es war ziemlich verstaubt, aber auch gemütlich und irgendwie romantisch. In der offenen Küche stand in gelben Hängeschränken angeschlagenes Geschirr und auf den Art-déco-Polstermöbeln lagen Patchworkdecken vom Flohmarkt. Telefon gab es nicht.
    In Citizen Kane hatten wir zwar eines, aber da Luke und ich schon seit Monaten die Rechnungen nicht mehr bezahlen
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