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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
Autoren: April Genevieve Tucholke
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kam die Treppe hinuntergerannt, und ich sah, dass ihm Tränen übers Gesicht liefen, was mich seltsam berührte, weil ich ihn noch nie weinen gesehen hatte. In Dads Augen trat ein entrückter Ausdruck, als er ihn an sich drückte, und plötzlich wurde mir klar, wie sehr ich diesen Ausdruck vermisst hatte. Kurz darauf kamen Neely und Jack nach draußen, wir stellten die beiden unseren Eltern vor und waren bald in eine lebhafte Diskussion über Kunst verstrickt, die uns erst in den Schuppen und dann ins Gästehaus führte, bis Mom und Dad schließlich wissen wollten, was während ihrer Abwesenheit so alles passiert war. Aber da gab es nicht viel zu berichten, weil wir ihnen nichts erzählen konnten von River und Brodie oder von Freddies Briefen, davon, dass Jacks Blut dicker war als Wasser, dass Sunshine fast erschlagen worden wäre, von dem toten Jungen bei den Gleisen, dass ich dem Teufel eine Glasscherbe in die Brust gerammt hatte oder warum ich mitten im August eine langärmlige Bluse trug.
    Später am Abend saß ich allein vor dem Haus auf der Treppe und fragte mich, in welcher vergessenen Ecke irgendwo im Nirgendwo River sich wohl gerade versteckt hielt. Die Nacht verdunkelte einen der letzten Tage des Hochsommers, und die River-Melancholie schlug so erbarmungslos zu, wie sie es kurz vor Sonnenuntergang gern tat. Ich hörte Neely und Luke hinter dem Haus lachen, während sie Zweige und Äste für das Feuer sammelten. Wir hatten beschlossen, im Garten zu übernachten, und mein Vater baute gerade ein leicht nach Moder riechendes grünes Zelt auf, das er im Keller von Citizen Kane gefunden hatte, während Mom im Schuppen bei offener Tür malte, damit sie uns alle im Blick hatte. Jack bereitete in einer alten, kurbelbetriebenen Maschine Eiscreme zu und Sunshine saß neben ihm und las in einem vergilbten Pfadfinderhandbuch aus der Bibliothek Anweisungen zum Bau eines perfekten Lagerfeuers.
    Ich fragte mich, ob River sein Funkeln mittlerweile im Griff hatte. Und ob er wohl einsam war. Ob er mich so vermisste, wie ich ihn vermisste. Aber dann stand Neely plötzlich vor mir, streckte mir einen Stock hin, auf dem ein Marshmallow aufgespießt war, und sagte, ich solle aufhören zu grübeln und zu ihnen rüberkommen. Und das tat ich. Ich röstete Würstchen und Maiskolben über dem Feuer, aß selbst gemachtes Eis, malte im Mondlicht und schlief in einem Schlafsack auf der Erde. Und die Nacht verschwamm zu einem riesigen Alles und Nichts. Ich war in Sicherheit. Und ich war zufrieden, trotz meiner River-Melancholie.
    Irgendwann spähte ich zu Neely hinüber, der in der Nähe des Feuers mir zugewandt auf der Seite lag. Ich dachte, er würde schlafen, aber plötzlich schlug er die Augen auf und sah mich an, als wüsste er, worüber ich nachdachte. Er grinste. Und dieses Grinsen berührte mich bis in mein Innerstes.
    Freddie hatte oft zu mir gesagt, dass man dann glücklich sein soll, wenn der Moment dafür da ist, weil das Leben nicht warten würde, bis man sich die Zeit dafür nimmt. Sie wusste, wovon sie sprach. Sie hatte es auf sehr schmerzliche Weise lernen müssen. Freddie hatte – wie alle Menschen – Fehler gemacht, und trotzdem war es ihr irgendwie gelungen, an ihrem Glück festzuhalten. Sie betete zu Gott und hielt daran fest.
    Ich spürte mit der Fingerkuppe den Narben an meinen Handgelenken nach. Das Leben war sicherer ohne River. Und es war von allem ein bisschen weniger. Weniger atemlos. Weniger Angst einflößend. Weniger beunruhigend. Einfach … weniger.
    Verdammt. Ich vermisse dich wirklich, River.
    Vielleicht waren das nur die Nachwirkungen seiner Gabe, und das Funkeln selbst hatte diese River-Melancholie in mir ausgelöst … aber sie fühlte sich sehr echt an. Und selbst wenn mein Gefühl mich trog, war es nun einmal das Einzige, was ich besaß, um weiterzumachen. River hatte Menschen manipuliert und einige auch getötet. Er war böse. Nicht auf die Art böse wie Brodie, aber … dennoch böse. Es war besser, dass er fort war und nicht mehr in meinem Leben. Das wusste ich. Theoretisch. Und trotzdem fühlte ich in den tiefsten und dunkelsten Winkeln meines Herzens, dass es mir absolut gleichgültig war, ob River böse war. Ich mochte ihn. Liebte ihn möglicherweise sogar.
    Was vielleicht bedeutete, dass ich ebenso böse war …

Ich danke:
    Nate.
    Joanna Volpe. Agentin, Stephen-King-Fan, Nachteule wie ich. Du hast dir mir zuliebe »Diabolisch« angeschaut. Das werde ich dir nie vergessen.
    Jessica Garrison.
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