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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
Autoren: April Genevieve Tucholke
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zurückkomme.«
    Meine Wange rieb über sein Hemd, als ich nickte. Dass Neely Brodie nicht hatte aufhalten können, als er versucht hatte, mich zu töten, ließ ich unausgesprochen.
    River küsste mich auf die Wange, auf die Stirn und auf mein Ohrläppchen. Neely schaute grinsend zu, aber das war River egal, und mir auch.
    »Wie soll ich ohne dich nur schlafen?«, murmelte River an meinem Hals. »Ich habe mein ganzes Leben noch nie vor jemandem Angst gehabt, Vi, aber vor meinem rothaarigen Cowboy-Bruder – vor dem habe ich eine Heidenangst. Doch das wird mich nicht abhalten. Selbst wenn ich dem Teufel meine Seele verkaufen muss, selbst wenn Brodie der Teufel ist, werde ich ihn töten. So wie er versucht hat, dich zu töten. Aber mir wird es gelingen, so wahr mir Gott helfe.«
    Und dann küsste er mich auf den Mund. Lange. Ich schloss die Augen und versuchte wieder das zu empfinden, was ich bei unserem ersten Kuss auf dem Friedhof empfunden hatte.
    Doch dann fingen die Narben an meinen Handgelenken an zu jucken, und ich sah vor meinen inneren Augen rote Haare aufblitzen und spürte plötzlich wieder Brodies Lippen auf meinen, während mein Blut unsere Kleidung durchtränkte.
    Ich löste mich von River. Sein Blick gab mir zu verstehen, dass ich nichts erklären, nichts sagen musste. Kein einziges verdammtes Wort. Weil er es auch so wusste.
    Er griff in seine Jackentasche und zog ein Lesezeichen heraus. Es war ein zu einem Stern gefalteter Hundert-Dollar-Schein, den er mir in die Hand legte.
    Dann stieg er in seinen Wagen.
    Und fuhr davon.

Dreißigstes Kapitel
    River fuhr fort. Und Neely blieb.
    Jack war jetzt auch bei uns eingezogen. Er hatte so viel durchgemacht – die Jagd nach dem Teufel, den Selbstmord seines Vaters, den brennenden Dachboden, das Messer –, aber irgendwie kam er ganz gut damit klar.
    Neely errichtete im Garten neben dem Gästehaus eine kleine Feuerstelle, an der Luke, Sunshine, Neely, Jack und ich uns nach Einbruch der Dunkelheit den ganzen Sommer über trafen und italienische Würstchen und Maiskolben grillten
    Manchmal schlief ich im Gästehaus in Rivers Bett. Neely störte das nicht. Außerdem mochte ich sein Lachen und dass er wie sein Bruder aussah. Wir sprachen nicht über River und hörten auf, Zeitungen zu lesen. Wir wollten nichts wissen. Weder von ihm noch von Brodie. Wir wollten nicht wissen, wo sie steckten und wem sie möglicherweise etwas angetan hatten. Noch nicht.
    Am letzten Augustabend, eine Woche vor Beginn meines letzten Schuljahrs, schlief ich wieder in Rivers Bett. Als ich aufwachte, schien mir die Sonne direkt ins Gesicht.
    Aber nicht davon war ich aufgewacht, sondern von den Stimmen, die draußen zu hören waren. Ich zog mich hastig und mit klopfendem Herzen an.
    Das konnte nicht sein.
    Aber es war so.
    Ich lief nach draußen und da standen meine Eltern und hievten gerade einen Koffer nach dem anderen aus einem Taxi. Als meine Mutter mich sah, ließ sie ihre Tasche fallen. Ich lief in ihre ausgebreiteten Arme, und wir hielten uns so fest, als wäre das unsere Art zu atmen und als hätten wir sehr, sehr lange die Luft angehalten. Ich vergrub meine Nase in ihren langen Haaren und atmete ihren Duft nach starkem europäischem Kaffee, nach französischem Parfum und Pariser Regen ein, in den ein Hauch von Terpentin gemischt war.
    Ich war wütend, dass sie fortgegangen waren und jetzt auf einmal zurückkamen, als wäre nichts gewesen. Als müssten sie sich nicht erklären. Als trügen sie Luke und mir gegenüber keinerlei Verantwortung. Aber so waren meine Eltern nun mal. Sie taten, was sie tun mussten, egal, was wir davon hielten. Wir mussten sie so nehmen, wie sie waren, und konnten nur hoffen, dass sie es mit uns genauso machten.
    Nachdem wir uns voneinander gelöst hatten, fing meine Mutter an zu erzählen, wie es ihre Art war: schnell und mit sich überschlagenden Worten. So schnell, wie meine Gedanken durch meinen Kopf rasten. Sie erzählte von Europa und von den Museen und Ausstellungen, die sie besucht hatten, aber ich hörte nur mit halbem Ohr zu, weil ich gerade meinen Dad umarmte und noch damit beschäftigt war, mich von der Überraschung zu erholen.
    »Ist das nicht unglaublich, Violet?« Mom legte mir eine Hand auf den Arm. »Ich habe gerade gesagt, dass dein Vater in Paris eine Ausstellung hatte und jedes einzelne Bild verkauft wurde! Ist dir klar, was das bedeutet? Es bedeutet, dass wir endlich ein bisschen Geld übrig haben. Oh, da ist ja Luke !«
    Mein Bruder
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