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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
Autoren: April Genevieve Tucholke
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haben einen Mieter für das Gästehaus.«
    »Was? Diese dämliche Idee hat tatsächlich funktioniert?« Luke hob eine Hand und ließ sie wie beiläufig auf Sunshines Schenkel fallen.
    Sunshine lächelte.
    Ich schob seine Hand weg.
    Wäre Sunshine ein Junge, wären sie und mein Bruder die besten Freunde gewesen. Aber Luke hätte niemals mit einem Mädchen nur befreundet sein können, egal wie gut er sich mit ihr verstand. Und die beiden verstanden sich bestens, besonders wenn es darum ging, mich in der Schule mit den zudringlichsten Jungs in den Wandschrank zu sperren oder das Buch, das ich gerade las, mit einer Lupe heimlich in Brand zu setzen.
    Als Sunshine hergezogen war und sie und Luke sich kennengelernt hatten, waren sie sofort Verbündete geworden. Davor hatte sie in Texas, in Oregon und in Montana gewohnt … überall dort, wo ihre Eltern eine Stelle als Bibliothekare gefunden hatten. Nach Freddies Tod vor fünf Jahren waren meine Eltern so pleite gewesen, dass sie sich entschlossen hatten, zweieinhalb Hektar unseres bewaldeten Grundbesitzes zu verkaufen. Weil Sunshines Vater hier aufgewachsen war, erfuhr er von dem Angebot, kaufte das Land, baute darauf das kleine Haus, zog mit seiner Familie nach Echo zurück und übernahm mit seiner Frau die Stadtbücherei.
    Sunshine drückte sich noch enger an Luke, worauf er wieder seine Hand auf ihren Schenkel legte, diesmal etwas höher.
    »Hört auf damit. Großer Gott. Ich sitze direkt neben euch.«
    Luke lachte. »Dann schau nicht hin. Und jetzt erzähl endlich, wer sich in unser Gästehaus eingemietet hat. Mann? Frau? Hast du die Miete im Voraus kassiert? Wo ist das Geld?«
    »Ja, er hat mir die Miete im Voraus gegeben, und nein, du wirst das Geld nicht in die Finger bekommen. Ich brauche es, um nachher Lebensmittel zu kaufen.«
    »Er heißt River West«, erzählte Sunshine. »Und Violet hat beschlossen, sich unsterblich in ihn zu verlieben.«
    »Stimmt überhaupt nicht«, sagte ich und sah sie mit meinem stechenden, wissenden Blick an.
    Dabei war es wahr und wir wussten es beide.

Viertes Kapitel
    Zu dritt gingen wir den verwilderten Pfad nach Citizen Kane zurück und passten dabei auf, dass die Zweige uns nicht die Arme und Beine zerkratzten.
    Sunshine hatte vorgeschlagen, zusammen einkaufen zu gehen und River zu fragen, ob er Lust hatte, mitzukommen. Also klopfte ich an die Tür des Gästehauses und trat ein, als er »Herein« rief. Er stand in der Küche und seine Hände steckten tief in Spülwasser.
    »Dachte, ich mache ein bisschen sauber. Das Geschirr war ziemlich eingestaubt.« Er sah meinen Bruder an. »Du musst Luke sein.« River nahm die Hände aus dem Wasser und zog ein weißes, mit einem lächelnden Lamm besticktes Geschirrtuch aus einer Schublade.
    Ich beobachtete, wie er sich damit die Hände abtrocknete, und musste plötzlich daran denken, dass dieses Tuch vermutlich schon uralt war, genauso alt wie der Rest des Gästehauses, und dass die Finger, die das rot lächelnde Maul auf das Schaf gestickt hatten, längst als bleiche Knochen in der Erde lagen.
    Die Toten sind mitten unter uns, hatte Freddie immer gesagt. Also hab keine Angst vor dem Tod, Violet. Denn wenn du keine Angst vor dem Tod hast, hast du keine Angst davor, zu sterben. Und wenn du keine Angst vor dem Sterben hast, dann ist das Einzige, vor dem du verdammt noch mal Angst haben musst, der Teufel. Und genau so soll es auch sein.
    Ich sehnte mich nach meinen Eltern. Ich sehnte mich nach Moms farbverschmierten Fingern und ihren verträumten grünbraunen Augen, die so ganz anders waren als meine, die – wie bereits gesagt – blau, stechend und besserwisserisch waren. Ich sehnte mich nach ihrem Lachen, bei dem sie immer ein bisschen zu viele Zähne zeigte, und nach ihrer Nase, die ein wenig zu groß wirkte, wenn man sie von der Seite anschaute.
    Und ich sehnte mich nach meinem Vater. Ich sehnte mich danach, im dunklen Dienstboteneingang zu stehen und ihm dabei zuzuschauen, wie er auf der Suche nach dem besten Licht eine Leinwand durch den Garten trug. Ich sehnte mich nach seinem Seufzen, wenn sein Blick auf das eingefallene Gewächshaus fiel, und danach, wie er dann den Kopf schüttelte und sich wieder seiner Leinwand zuwandte. Er war um einiges älter als meine Mutter und seine rotbraunen Haare wurden langsam schütter. Ich sehnte mich nach dem kupferfarbenen Schimmer, den sie bekamen, sobald Sonnenlicht darauf fiel. Und danach, wie er nach dem Abendessen in der Bibliothek Sherry trank und
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