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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
Autoren: April Genevieve Tucholke
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Gleichgewicht gebracht und aus »einer für alle und alle für einen« »zwei gegen einen« gemacht hatten.
    Jetzt, wo River mit dabei war und wir direkt vor dem Tunnel standen, war Lukes Bedürfnis Eindruck zu schinden anscheinend größer als seine Angst.
    Aber River legte einen Arm um Sunshine. »Wie wär’s, wenn Sunshine und ich dem Rätsel auf den Grund gehen und ihr beide solange hier die Stellung haltet? Was sagst du, Sunshine? Sollen wir uns auf die Suche nach dem rattenfressenden Irren machen?«
    Sunshine grinste und Luke schaute eingeschnappt. Mir gefiel die Sache auch nicht. River führte Sunshine zum Tunneleingang und nach ein paar Schritten wurden sie vom verdammten Dunkel verschluckt.
    Luke lief gereizt hin und her, seine helle Haut rötete sich in der Hitze, und seine kastanienbraunen Haare schimmerten in der Sonne beinahe kupferfarben, wie die von unserem Vater. Irgendwann legte er sich auf den Boden und starrte in den Himmel.
    Ich hockte mich ein Stückchen weiter weg auf eine kleine Grasnarbe in der Nähe des Tunneleingangs, streifte meine Flip-Flops ab und fragte mich, was zur Hölle River damit bezweckte, mit Sunshine in den Tunnel zu gehen. Allein.
    Luke drehte mir den Kopf zu, kniff die Augen zusammen und musterte mich genervt. »Du hast schon wieder Freddies Rock an. Warum ziehst du immer ihre Sachen an? Das ist echt ganz schön schräg, Schwester. In dem alten Fetzen siehst du aus, als hättest du nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
    Ich strich über den weichen Stoff des gelben Faltenrocks, ohne ihm eine Antwort zu geben. Vor ein paar Monaten hatte ich angefangen, ein paar von Freddies alten Röcken und Kleidern anzuprobieren, die sie als junge Frau getragen hatte, und festgestellt, dass sie mir inzwischen passten und irgendwie ganz gut an mir aussahen. So schräg war das gar nicht.
    Außerdem war es Sommer und im Sommer sehnte ich mich immer ganz besonders nach Freddie. Wenn mir also danach war, ihre alten Kleider zu tragen, dann sah ich nicht, was dagegen sprechen sollte.
    Warum ist mein Bruder so, Freddie? Warum kann er nicht ausnahmsweise einfach mal nett zu mir sein?
    Vielleicht ist er das ja , hallte Freddies raue Stimme durch meinen Kopf. Vielleicht bist du verdammt noch mal nur zu sehr damit beschäftigt, ihn nicht zu mögen, um es zu bemerken.
    Ich sah Luke an. »In einem der Schränke im zweiten Stock hängen noch ein paar von Großvaters Anzügen. Probier doch mal eine von seinen Westen an. Er hatte auch schöne Krawatten und Hüte, die dir bestimmt stehen würden. Es ist irgendwie … schön, Sachen anzuziehen, die eine Geschichte haben und oft getragen wurden. Wen interessiert es, ob man darin aussieht, als hätte man nicht mehr alle Tassen im Schrank? Uns hält doch sowieso schon jeder für verrückt, weil Mom und Dad uns allein gelassen haben, wir in diesem Riesenhaus leben und aus einer wohlhabenden und vornehmen Familie stammen.«
    Luke schüttelte den Kopf. »Kein Wunder, dass du keine Freunde hast, Vi. Glaubst du wirklich, ich würde mit dir in den Klamotten unserer toten und ›vornehmen‹ Vorfahren durch die Stadt flanieren?«
    Ich seufzte.
    Während die Minuten vergingen, begann ich mich zu fragen, ob River Sunshine gerade in dem dunklen Tunnel küsste und ob sie versuchte, ihm gleichzeitig unbemerkt das Portemonnaie aus der Hosentasche zu ziehen.
    Irgendwie machte mich das traurig.
    Dann hörte ich den Schrei.
    Ich sprang auf. Am Tunneleingang stand Sunshine, den Kopf in den Nacken gelegt, und schrie wie am Spieß. In dem Moment, in dem ich zu ihr hinlief, sank sie ohnmächtig zu Boden. Ihr Rock rutschte bis zu ihrer Hüfte hoch und ihre schwarze Unterwäsche hob sich glänzend von ihren weißen Schenkeln ab. Ich hätte etwas tun müssen. Hätte mich hinknien, ihr den Rock herunterziehen und versuchen sollen, sie aufzuwecken, aber ich stand nur stocksteif neben ihr, weil ich Angst hatte, dass ich auch ohnmächtig werden würde, sobald ich sie berührte, und dass mein Rock dann ebenfalls nach oben rutschen würde.
    River trat ins Licht hinaus. Er und Luke ließen sich neben Sunshine auf die Knie fallen, riefen ihren Namen und schüttelten sie behutsam, um sie zu wecken. Nur ich stand immer noch wie angewurzelt da und rührte mich nicht von der Stelle. Schließlich schob River eine Hand in Sunshines Nacken, die andere unter ihre Kniekehlen, hob sie hoch und trug sie vom Tunnel weg. Ich folgte ihm mit schlaff herabhängenden Armen zu der Grasnarbe, auf der ich bis eben
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