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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin
Autoren: Sonia Rossi
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Studiums mit Kommilitonen auf einer Wiese sitzen und gemeinsam lernen würde. Oder wie wir bei Kaffee und Zigaretten zusammen an Projekten arbeiten würden und wie viel Spaß es machen würde, mit Ladja auf Studentenpartys aufzutauchen.
    Am ersten Tag war dann alles ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich fuhr mit Ladja zum Hauptgebäude, er küsste mich und wünschte mir viel Glück. Die Einführungsveranstaltung hatte schon angefangen, in dem überfüllten Saal gab es keine freien Sitzplätze mehr, so dass ich mit dem Rücken zur Wand stehen musste. Ein grauhaariger Dozent schwafelte etwas von global operierenden Firmen und Netzwerken. Immer mehr Leute verloren den Faden, dämmerten vor sich hin oder unterhielten sich mit dem Tischnachbarn.
    Nach einer Stunde war die Veranstaltung vorbei. Im Foyer standen die Leute in Gruppen, manche tranken Kaffee und blätterten in ihren Unterlagen. Keiner sprach mich an. Ich fühlte mich fast ein wenig fehl am Platz.
    In den kommenden Wochen bestätigte sich mein Anfangseindruck. Die Uni war ein anonymer Ort, selten saß man in den Veranstaltungen zweimal neben derselben Person. Den meisten Kommilitonen war Kommunikation sowieso nicht wichtig, zumindest schien das für Mathematikstudenten zu gelten. Sie gehörten offenbar eher zu demMenschenschlag, der den Samstagabend lernend oder vor dem Computer verbrachte. Die meisten waren zwar freundlich, wenn man sie nach Uni-Themen fragte, doch auf eine persönliche Ebene kam man fast nie, und wenn, dann stellte man fest, dass viele von ihnen Berlin gar nicht kannten, da sie immer in ihrer Bude saßen und Fachzeitschriften lasen. Dann gab es noch die Spießer aus gutem Haus, die man an ihren symmetrischen Haarschnitten und ihren affektierten Manieren erkannte. Die Abneigung war beiderseitig. Sie merkten mir vermutlich an, dass ich keine wohlhabenden Eltern hatte und einen in ihren Augen unkonventionellen Lebensstil führte, ich wiederum war der Ansicht, dass sie keine Ahnung vom wahren Leben hatten. Die ausländischen Studenten – davon gab es relativ viele – waren da meist schon pfiffiger, doch sie hingen nach Vorlesungsschluss lieber mit ihren jeweiligen Landsleuten herum.
    »Ich finde die ganze Umgebung deprimierend«, gestand mir ein Mädchen aus meinem Mathe-Kurs, als wir zusammen in der Cafeteria saßen. Sie war mir, äußerlich betrachtet, sehr ähnlich: Lange Haare, hübsches Gesicht, klein und dünn. Der erste angenehme Mensch, den du hier getroffen hast, dachte ich. Jule war wegen ihres Studiums aus Braunschweig nach Berlin gezogen und kannte in der Stadt fast niemanden, so dass wir am Wochenende manchmal zusammen ausgingen. Wir standen beide auf Indie-Rock, Kneipenbesuche und hatten beide in der Anfangszeit an der Uni ziemlich große Probleme, besonders was die Organisation des Studiums anging. So hatte ich in kurzer Zeit immerhin eine neue Freundin gewonnen. Wie es bei mir zu Hause zuging, wagte ich ihr zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht zu erzählen – ganz zu schweigen von meiner Nebentätigkeit.
    Als ich eines Tages von der Uni heimkam, war es in unserer Wohnung unheimlich still; sonst wurde ich üblicherweise mit lauter Musik empfangen. Ladja und Tomas saßen um den Tisch, sagten aber nichts. Tomas massierte sich die Schläfe und schaute mit einem abwesenden Blick in die Ferne. Von außen gesehen war er immer derselbe: Party, Koks und Mädels, das war seine Welt. Doch wenn er alleine mit mir und Ladja war, redete er oft von seinem Zuhause. In dem Dorf an der weißrussischen Grenze, in dem er geboren war, besaß seine Familie ein kleines Haus mit einem Garten. Es war schon ziemlich alt, doch Tomas und sein Vater erledigten die meisten Reparaturen allein. Sie flickten das Dach vor dem Winter und strichen die Fassade im Sommer.
    »Ich denke in letzter Zeit immer öfter an meinen Alten, der jetzt allein auf die Leiter steigt und ohne mich die Arbeit macht«, sagte Tomas einmal. »Ich war seine einzige Hilfe und bin abgehauen. Manchmal denke ich, es war scheiße von mir. Ich sehe sogar meine Mutter vor mir, wie sie in der Küche sitzt, Kreuzworträtsel löst und jedes Mal die Stirn runzelt, wenn sie etwas nicht weiß.«
    »Vielleicht ist es ein Zeichen«, sagte ich vorsichtig. »Willst du irgendwann zurück nach Hause?«
    »Als ich hierherkam, war mir vieles scheißegal. Ich war achtzehn, ich wollte einfach leben«, fuhr er fort, ohne auf mich zu achten. »Ich war ein kleiner Junge in der Großstadt und kam mir vor
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