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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin
Autoren: Sonia Rossi
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jetzt auch.
    »Ich habe übrigens immer von dir und Milan gewusst«, sagte er, als er mit zitternden Händen die letzte Zigarette in unserer Wohnung rauchte.
    Ich schwieg.
    »Du wirst immer eine Nutte bleiben«, waren seine letzten Worte, bevor er die Wohnung verließ und die Schlüssel auf dem Wohnzimmertisch liegen ließ.
    In den folgenden Tagen kamen von ihm zuerst verzweifelte, dann wütende Anrufe, gefolgt von gegenseitigen Vorwürfen und schließlich Funkstille. Erleichtert flog ich zwei Tage vor Weihnachten nach Italien zu meiner Familie. Das Letzte, was ich wollte, war, einsam mit Fynn in meiner Wohnung zu sitzen, und in Italien hatte ich zwischen schier unzähligen Besuchen keine Zeit zum Grübeln. Niemand dort wunderte sich, dass ich Ladja verlassen hatte, sie alle hatten den Straßenjungen aus Polen an meiner Seite immer als unpassend empfunden.
    Erst kurz vor Silvester flog ich zurück nach Berlin. Am letzten Tag des Jahres traf ich mich mit Jule und ihrem neuen Freund in einer Kneipe.
    »Du bist mit den Gedanken woanders«, stellte sie fest. »Ist es wegen Ladja?«
    »Ach, der ist Schnee von gestern«, lachte ich und meinte es auch so. »Ich frage mich nur, wo Milan ist. Bestimmt im ›California‹.«
    »Dann geh zu ihm. Wir sind nicht beleidigt«, sagte Jule.
    Ich bestellte mir ein Taxi nach Schöneberg. »Fahren Sie zu einer Party?«, fragte der Fahrer, als wir an einer Ampelstanden. »Nein, ich treffe mich einfach mit einem Kumpel«, antwortete ich knapp und betrachtete durch die Rückscheibe, wie der Glasturm vom Sony Center hinter uns verschwand.
    »Das muss ja ein spezieller Kumpel sein«, kommentierte er.
    »Wie wollen Sie das denn wissen? Sie kennen mich gar nicht!«, protestierte ich.
    »Ihre Augen leuchten«, erklärte er mir mit dem Lachen des Besserwissers.
    Das »California« war brechend voll, doch in der Menge qualmender Gestalten erkannte ich Milan sofort. »Ich habe Ladja verlassen«, lautete meine Begrüßung, zu der er nur kurz nickte, als ob es sich um eine Belanglosigkeit handeln würde.
    Als ich noch einmal darauf zurückkommen wollte, sagte er nur: »Ich will nichts von ihm wissen. Du bist hier und das ist das Wichtigste.« Mit diesen Worten küsste er mich.
    Es wurde ein perfekter Abend. Wir ignorierten den Jahreswechsel und spielten wie Besessene Schach und »Vier gewinnt«. Selbst als der letzte Gast torkelnd das »California« verlassen hatte, dachten wir nicht daran, wegzugehen, bis der Barmann uns schließlich um sieben Uhr morgens herauswarf.
    »Ich höre auf, im Puff zu arbeiten – endgültig«, sagte ich, als ich mit Milan Hand in Hand durch die morgengrauen Straßen ging. Es war die spontane Entscheidung nach einer durchzechten Silvesternacht, aber als ich es gesagt hatte, fühlte ich mich wie befreit. Während der vergangenen Monate hatte ich mich, ohne es wirklich zu merken, nach und nach auf diesen Schritt zubewegt. Fünf Jahre lang war das Bordell mein Arbeitsplatz und ein Teil meines Lebens gewesen. Jetzt aber hatte ich eine neue Vorstellung von meiner Zukunft entwickelt, in der mein Sexleben nichts mehr mit Geld zu tun haben würde.
    »Wie willst du dich finanzieren?«, fragte Milan.
    »In sechs Monaten ist mein Studium vorbei. Danach kriege ich bestimmt einen guten Job«, erklärte ich.
    »Schöner Vorsatz«, kommentierte Milan und küsste mich erneut. »Gehen wir zu Mario?«, fragte er dann. Es war fast neun Uhr morgens.
    In jeder Liebschaft gibt es Rituale und dies hier war unseres. Ich würde wohl nie mit Milan zusammen am Sonntagmorgen im Bademantel frühstücken, nie würde ich seine Schultern nach einem harten Arbeitstag massieren und wir würden auch nie am Wochenende an die Ostsee fahren. Doch damit konnte ich leben – das begriff ich jetzt zum ersten Mal. Ich klammerte mich nicht an ihn beim Abschied und wollte auch keine dummen Versprechen hören, sondern genoss einfach sein Lächeln und seine Hände auf meiner Haut und dankte dem Schicksal, dass es mir diese unvollkommene Liebe geschenkt hatte.
    Ich lächelte noch auf dem Weg zur U-Bahn. Der Wurststand am Bahnhof machte gerade auf, der Verkäufer schob mühsam die Jalousie hoch. Ich kaufte mir eine Bulette mit Ketchup und verschlang sie gierig. Ein junger Mann am Bahnsteig versuchte, mir eine gebrauchte Fahrkarte anzudrehen, doch in meinem Schwebezustand lief ich an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten.
    Nach zwei Stationen stieg ein Obdachloser ein, der eine Straßenzeitung verkaufte, und wedelte
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