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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin
Autoren: Sonia Rossi
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hat sie auch – die Schwangerschaften halt. Ich habe ihr vorgeschlagen, mit mir ins Fitnessstudio zu gehen. War nicht böse gemeint. Aber sie fing an, mich anzuschreien: Ichwürde sie nicht so akzeptieren, wie sie ist, und so weiter. Dann habe ich es halt seinlassen. Weißt du, ich liebe sie eigentlich immer noch …«
    Innerlich musste ich grinsen – diese Geschichte hatte ich schon zigmal gehört.
    »Aber – verstehst du das?«, fragte Jörg.
    Ich nickte. »Ich kenne viele Leute, denen es ähnlich geht. Weißt du, ich bin so etwas wie ein Seelenklempner«, antwortete ich.
    Unsere Gläser waren leer. Wir ließen uns eine Flasche Prosecco bringen.
    »Und was machst du so?«, fragte er.
    Ich schwieg. Sollte ich diesen Dachdecker aus Rostock glauben lassen, dass ich eine weltgewandte Studentin war, die bereits ein wenig Erfahrung mit Jungs hatte? Oder eine fleißige Kellnerin, die sich die Bargeschichten einsamer Männer anhörte, um sich von den Trinkgeldern den Heimaturlaub in Italien leisten zu können?
    Dieses Lügen hatte ich immer als belastend empfunden. Doch viele meiner Bekannten glaubten tatsächlich, dass ich in einer Gaststätte arbeitete. Man muss wissen, zu wem man ehrlich ist.
    Komisch, dachte ich. Wir leben im 21 . Jahrhundert, fühlen uns aber immer noch an die ewig selben Tabus gebunden. Jedenfalls wenn wir uns in einem Zug kennenlernen und an einer Bar Prosecco trinken. Doch in dem Augenblick war mir das egal. In ein paar Stunden würden sich unsere Wege für immer trennen und ich war bereits angetrunken genug, um ihm in die Augen zu schauen und zu sagen:
    »Ich bin eine Nutte.«
    Jörgs Gesicht wurde knallrot. Plötzlich war es ganz still. Man hörte nur die Bar-Musik im Hintergrund und den monotonen Takt des Zuges, der über die Gleise raste.
    »Tja … ich meine … kommst du damit klar?«, fragte Jörg nach einer kleinen Ewigkeit.
    »Man gewöhnt sich«, antwortete ich mit einem Grinsen. Diesen Satz hatte ich zu Beginn meiner Karriere als Hure tausendmal von anderen Frauen gehört. Den Frechen, den Abgebrühten – denen, die unverletzlich schienen, auch wenn viele von ihnen ihre Verletzlichkeit einfach nur nicht zeigten. Und jetzt benutzte ich selbst diese Worte. Sie gefielen mir und hinterließen ein Gefühl von Selbstsicherheit.
    »Ich hätte nie gedacht …« Jörg kaute nervös an seiner Unterlippe. Er hatte herzförmige, etwas asymmetrische rosa Lippen. Sie passten überhaupt nicht zu seinem Dreitagebart und dem kräftigen Oberkörper, sie gaben ihm etwas Weiches. Ich konnte mir gut vorstellen, dass seine Frau sich in genau diese Mischung verliebt hatte. Auch mir gefiel sie, vielleicht deshalb, weil mir die meisten Männer von jeher als zerrissene Wesen erschienen sind. Sie haben Liebeskummer und trösten sich mit Nutten, denen sie im besten Fall gleichgültig sind. Sie vögeln dich gegen Geld und fangen mittendrin an zu heulen. Sie spritzen dir in den Mund und erzählen dir drei Sekunden später, dass du auf dich aufpassen sollst: dein Studium zu Ende machen, einen guten Job ergreifen, einen netten Mann heiraten. Einen wie sie selbst.
    »Die wenigsten denken so was«, antwortete ich schließlich. »Du wärst überrascht, wenn du wüsstest, wie viele Frauen den Beruf ausüben. Mehr, als du denkst. Vielleicht die Bäckerin, von der du jeden Morgen deine Schrippen kaufst. Oder die nette, alleinerziehende Mutter, die über dir wohnt und aus deren Wohnung es am Wochenende immer nach Kuchen duftet. Junge, wir leben in den Zeiten von Hartz  IV . Und es gibt keinen schnelleren Weg, an Knete zu kommen, als …«
    »Nein«, stammelte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass jede Frau so was machen würde. Meine Frau zum Beispiel. Oder meine Schwester. Die würden lieber sterben.«
    »Sei dir nicht zu sicher«, antwortete ich. »Wenn erst mal der Magen knurrt, fallen viele mentale Schranken – schneller, als du denkst. Du wärst erstaunt. Für mich war es auch ein Tabu. Ich komme aus einer netten, bürgerlichen Familie. Sie würden dort alle einen Herzinfarkt kriegen, wenn sie Bescheid wüssten.« Ich dachte an meine Oma, wie sie unter dem Weihnachtsbaum sitzend für mich Äpfel schälte.
    Jörg schaute mich jetzt mit anderen Augen an. Vor wenigen Minuten war ich eine nette Mitfahrerin gewesen, mit der sich gut die Zeit vertreiben ließ. Nun lagen Misstrauen, Neugier und Mitleid in seinem Blick.
    »Weißt du«, sagte er mit etwas schwankender Stimme, »eigentlich wollte ich
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