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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz
Autoren: Janna Hagedorn
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Aber Mama, das sagt keine Sau mehr. Ist total Nullerjahre.«
    »Nullerjahre?«, echote ich verdutzt.
    »Mama«, seufzte Ronja theatralisch, »manchmal bist du ehrlich peinlich.« Und nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Aber lieb hab ich dich trotzdem.«

31
    Am Morgen saß die Schwalbe noch immer an der gleichen Stelle, in einer Ecke der Dachterrasse. Aber wenn mich nicht alles täuschte, ging es ihr besser. Jedenfalls waren die Brotkrümel aufgepickt, die ich neben sie geschüttet hatte, und sie ruckte mit dem Köpfchen und schlug ein wenig mit den Flügeln auf dem rot gestrichenen Boden. Anfassen wollte ich sie lieber nicht, aber ich hockte mich für einen Moment zu ihr und redete beruhigend auf sie ein, als sei sie ein krankes Kind, das ausnahmsweise allein zu Hause bleiben musste.
    Als ich sie am Abend zuvor gefunden hatte, war nicht ganz klar gewesen, was ihr fehlte. Ob sie sich einen Flügel gebrochen hatte oder ob es nur der Wind war, der sie ergriffen und auf das rot gestrichene Flachdach geweht hatte, in eine Ecke, aus der sie nicht gut starten konnte. »Ich muss jetzt zum Unterrichten«, sagte ich leise, »aber ich bin bald wieder da. Mach dir keine Sorgen.« Weil ich nicht ganz sicher war, ob sie mich verstand, wiederholte ich den letzten Satz noch einmal auf Spanisch. »No te preocupes!«
    Den ganzen Vormittag in der Arbeit war ich nervös. Dabei war es schwer zu sagen, was mich mehr beschäftigte: das angeschlagene Vögelchen auf dem Dach dieses sandfarbenen Hauses im Barrio Santa Cruz, dem Altstadtviertel von Sevilla. Oder die SMS, die ich gestern Abend bekommen hatte, kurz nachdem ich die Schwalbe gefunden hatte. Eine SMS, die ich noch nicht beantwortet hatte. Aber von der ich selbst erstaunt gewesen war, wie sehr sie mich ins Herz traf. Das Vögelchen machte mir Sorgen, die Nachricht Hoffnung, und beides zusammen verschmolz zu einem bittersüßen Klumpen in meiner Herzgegend.
    Während ich nachmittags in Richtung meiner Wohnung lief, von der internationalen Sprachenschule in der Nähe der Kathedrale in Richtung Plaza Alfalfa, verschob sich das Gefühl mit jedem Schritt von Hoffnung in Richtung Ängstlichkeit. Als ich schließ lich in die schmale Gasse mit den schmiedeeisernen arabischen Balkonen an den Fassaden einbog, in der ich zurzeit lebte, klopfte mir das Herz bis zum Hals. Nun dachte ich nicht mehr an die SMS, nur noch an die Schwalbe, und aus irgendeinem Grund schien es mir, als könnte ich es niemals verwinden, wenn sie auf meiner Terrasse jämmerlich eingehen würde. Einmal mehr verstand ich mich selbst nicht. Immerhin, das war ein Zustand, der mir allmählich vertraut wurde. Und bisher kein Ende abzusehen. War ja auch ganz interessant. Ich lernte gerade einen ganz neuen Menschen kennen, den ich offensichtlich in den vergangenen vierzig Jahren nie richtig verstanden hatte.
    Beim zweiten Versuch schaffte ich es endlich, den Schlüssel in das Schloss der Gittertür zu stecken, die das Treppenhaus von einer schmalen Metallstiege aufs Dach trennte. Mehrere Anläufe hatte es gebraucht, bis die Hausmeisterin mir einen Schlüssel ausgehändigt hatte, kopfschüttelnd und verwundert über die merkwürdigen alemanes und ihren Hang zu Sonnenbädern auf dem Dach. Für sie wie für alle spanischen Hausfrauen waren die Dachterrassen nichts als eine zusätzliche Fläche zum Wäscheaufhängen, und sie konnte überhaupt nicht verstehen, was ich dort wollte, wo es doch im Keller des Hauses einen münzbetriebenen Trockner gab. Dabei wollte ich ihr den Platz für Laken und zeltgroße BHs gar nicht streitig machen. Alles, was ich wollte, war Überblick. Meinen ganz persönlichen Leuchtturm. Aber das hatte sie nicht verstanden.
    An meinem Spanisch hatte es nicht gelegen. Das hatte die lange Pause seit meiner eigenen Schulzeit erstaunlich gut überstanden und schnurrte seit einigen Wochen wie ein kleiner Motor, so als wären die Worte glücklich, endlich unter ihresgleichen zu sein. Dagegen hörte sich meine eigene Muttersprache geradezu holprig und stolperig an, wenn ich vor meinen Schülern in der privaten »Deutsch-Akademie« stand. Fast jeden Morgen fragte ich mich, warum sich junge Spanier mit ihrer eleganten, rassigen Sprache ausgerechnet diese fremden Laute und Konstruktionen antaten. Aber Spanien hatte auch eine Arbeitslosenquote von fast fünfundzwanzig Prozent, da durfte man vielleicht nicht wählerisch sein, wenn es darum ging, die eigenen Jobchancen zu verbessern.
    Mein Name ist Maike. Ich lebe
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