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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz
Autoren: Janna Hagedorn
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Mal erwähnte sie Ann und die bevorstehende Geburt ihres Halbbruders. Wenn es schon nicht die Trennung von Sven gewesen war, die sie zu dem halben Highschool-Jahr in den USA motiviert hatte, die verlockende Aussicht, ihrem ersten großen Liebeskummer zu entkommen, dann war es Torges Enthüllung gewesen. Als er ihr von Ann und der Schwangerschaft erzählte, konnte es ihr überhaupt nicht schnell genug gehen, und schon im Januar war sie ins Flugzeug gestiegen.
    Die Wochen danach waren bedrückend gewesen. Bedrückend für Torge und mich, weil wir nicht nur miteinander überfordert waren und der Frage, wie es mit uns als Paar weitergehen sollte, sondern auch mit unserer neuen Rolle als Eltern. Ein Probelauf mit leerem Nest, auch wenn wir wussten, dass Ronja noch einmal zurückkommen würde, bevor sie endgültig flügge wurde.
    Dabei war alles, was geschah, zutiefst richtig: Es war Ronjas Job, dieses Gummiband zwischen sich und mir weiter zu dehnen. Dennoch überfiel mich oft ein Gefühl totaler Hilflosigkeit, weil ich so untätig am gewohnten Ende dieses Gummibandes saß, mit einem Mann, von dem ich noch nicht wusste, ob er jemals wieder mehr sein würde als der Vater meines Kindes.
    Und so war es für mich dann doch eine Art Flucht, als ich Anfang April zu meinem eigenen staatlich genehmigten Bildungs urlaub aufgebrochen war, um in Andalusien als Aushilfslehre rin Deutsch zu unterrichten und zugleich an einem biologischen Forschungsprojekt im Nationalpark Coto de Doñana teilzuneh men. Hinter mir war alles in einem schmuddeligen Grüngrau versunken, Hamburg, unser vernachlässigter Garten, Torge am Gate des Flughafens in einem grüngrauen Karohemd. Wir hatten vereinbart, uns nicht zu schreiben. Oder nur, wenn etwas Wichtiges mit Ronja war. Deshalb wusste ich auch nicht, wie die Frage ausgegangen war, ob er Ann zum Geburtsvorbereitungskurs begleiten sollte.
    Alle anderen Fragen hatte sie deutlich beantwortet. Mit einem Nein zur Donnerstag-Freitag-Lösung, mit einem Nein zur Einliegerwohnungs-Lösung. Ich stellte mir vor, wie sie in einem top-modernen Kreißsaal im Altonaer Krankenhaus ganz allein Wehen veratmete und die Hebamme zwischendurch mit Muttermund-Lyrik schockierte. Sie wollte das jetzt durchziehen, und sie wollte sich beweisen, dass sie recht gehabt hatte mit ihrem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Ann war alles zuzutrauen. Torge aber auch. Er würde sich nicht einfach aus dem Leben dieses Kindes drängen lassen. Lange Zeit hatte mich das geschmerzt, bis ich mir widerwillig eingestanden hatte, dass es für ihn sprach. Dass es ihn nur noch liebenswerter machte.
    Und noch etwas wusste ich seit gestern Abend: Er würde sich auch nicht aus meinem Leben drängen lassen.
    Ich schloss Ronjas Mail und öffnete noch einmal die SMS. Alles großgeschrieben wie immer, wie auch sonst, wenn Torge mich an zweihundert Gramm Salami und einen roten Multivitaminsaft erinnerte. Nur, dass seine Worte nicht so klangen, als kämen sie von einem Mann, mit dem ich schon lange verheiratet war.
    Auf den Tag genau seit siebzehn Jahren. Und zwar heute.
    Es ist ein Tag zum Feiern, lautete die SMS. Weil ich froh bin, dass wir nicht mehr stumm nebeneinandersitzen wie zwei Vögel in einem halb leeren Nest. Weil ich das Tandem verkauft habe. Weil Du Maike bist und ich Torge. Weil ich niemals wissen werde, wer Du wirklich bist. Aber weil ich weiß, dass ich Dich will. Es ist unser Hochzeitstag, und ich warte auf Dich. Acht Uhr abends. Plaza San Salvador. Ich weiß nicht, ob du da sein wirst. Und das gefällt mir.
    Ich blickte über die abbröckelnden Dachziegel der Nachbarhäuser, in die dunklen Schluchten der schmalen Gassen unter mir. Irgendwo dort musste er jetzt sein, atmete dieselbe warme Luft wie ich, schnupperte denselben Orangenduft, hörte vielleicht sogar den scheppernden Klang derselben Kirchenglocken. Ein vertrauter Mensch in einer fremden Stadt. Hatte er das jemals getan, in den letzten siebzehn Jahren: sich einfach ein Flugticket gekauft, um allein irgendwo hinzufliegen, unsicher, wem er begegnen würde? Ein leiser Schauer lief mir über den Rücken.
    In der Ecke der Dachterrasse hörte ich ein Rascheln und zwang mich, endlich hinzusehen. Auf dem Boden in der Ecke, dort, wo die Schwalbe gesessen hatte, war ein feuchter dunkler Fleck zu sehen, einzelne Brotkrümel lagen herum. Auf der Brüstung saß ein Vögelchen, ruckte mit dem Kopf, breitete schließlich die Flügel aus und warf sich in den Sommerhimmel, um mit dem Wind
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