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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz
Autoren: Janna Hagedorn
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zurück, »und die kann mir auch keiner wegnehmen. Nicht mal du selbst.«
    Während ich schwerfällig auf Ronja zuhumpelte, versuchte ich, meine Wolldecke um die Hüften festzuhalten. Warum auch immer: Es war mir peinlicher, unten ohne vor meiner halbwüchsigen Tochter zu stehen als vor dem Mann, mit dem ich fast geschlafen hätte.
    Aber dann war sie schon da, drängte sich in meine Arme und fing hemmungslos an zu weinen.
    »Kindchen«, sagte ich und strich ihr über die Haare, »Mäuschen, es ist doch alles gut! Ich bin doch wieder da!«
    Aber sie schluchzte noch lauter.
    »Was war denn los mit dir?«, fragte ich sie und hielt sie auf Armeslänge von mir entfernt, um ihr ins Gesicht zu sehen. »Warum bist du von zu Hause abgehauen, und wo hast du gesteckt?«
    So ganz wurde ich nicht schlau aus ihren Schluchzern, aber ich hörte einzelne Wörter heraus wie »Funkloch« und »Mama« und schließlich sogar einen halben Satz, der klang wie »musste dich sehen«.
    Moment mal: Ronja war überhaupt nicht von zu Hause weggelaufen, um von mir wegzukommen, sondern hatte sich zu mir auf den Weg gemacht? Nach Boldsum? Obwohl meine Urlaubswoche schon fast zu Ende war?
    »Aber Schätzchen«, sagte ich, »was war denn so schrecklich dringend, dass du nicht mal einen Tag warten konntest, bis ich wieder in Hamburg bin? Dass du nicht mal Papa Bescheid sagen konntest?«
    Sie zog die Nase hoch. Ihre Unterlippe zitterte. Dann ballte sie ihre Hände zu Fäusten und fuhr sich mit den Fingerknöcheln über die Augen. Schließlich holte sie tief Luft.
    »Mama«, presste sie schließlich heiser hervor, »es ist etwas Furcht bares passiert.«
    Mein Herz rutschte in die Hose, durchschlug den Betonboden und kam irgendwo auf der anderen Seite des Globus wieder heraus. Schreckliche Bilder wollten auf mich einstürmen, auf denen Ronja zu sehen war, aber auch Torge, unser Haus und sogar unser Familienhund, den wir schon seit zehn Jahren gar nicht mehr besaßen. Aber vor allem Ronja – bedrängt von einer Horde von Kerlen in Mangakostümen, bewaffnet mit Kameras, deren lange Ob jektive unheilvoll hervorstachen. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben.
    »Was«, fragte ich, »was denn?«
    »Es ist so schrecklich.« Sie schüttelte sich, aber fing sich dann wieder.
    »Mama, stell dir vor …«
    »Ja?«
    »Mama, du ahnst gar nicht … das Schlimmste, das mir je mals …«
    »Jetzt sprich schon! Sag was! Warst du etwa doch bei diesem Fotoshooting?«
    »Was für’n Fotoshooting?«, murmelte sie undeutlich.
    »Na, diese erotischen Fotos im Mangakostüm?«
    Unter Schluchzen schüttelte sie den Kopf. »Quatsch!«, protestierte sie. »Da hatte ich nun wirklich Wichtigeres zu tun!«
    »So?« Ich spürte eine vorsichtige Erleichterung. »Und was?«
    Wieder warf sie sich an meine Brust. Gedämpft, aber deutlich drangen ihre Worte zu mir durch.
    »Mama«, schluchzte sie, »Sven! Er hat eine andere!«
    »Sven?«, fragte ich verdattert. Stimmt: Da war doch was. Der Maschinenbaustudent. Ronjas Freund.
    »Ja!« Sie nickte. Ihre Tränen durchtränkten den Stoff meines T-Shirts.
    »Er hat eine andere«, wimmerte sie, »schon seit zwei Wochen! Und er war einfach zu feige, es mir zu sagen! Und wenn nicht zufällig die Nadine der Sarah erzählt hätte, dass die Katharina jetzt mit einem zusammen ist, der schon sechsundzwanzig ist und ein Auto hat, dann wäre das nicht mal rausgekommen!«
    Ich hielt sie und streichelte ihren Rücken, und ich dachte, wie schön es war, dass es noch einmal ein Drama in ihrem Leben gab, bei dem ich sie trösten durfte. Dass es nicht das letzte Mal sein würde, dass sie zutiefst unglücklich war, aber vielleicht das letzte Mal, dass sie sich so von mir in den Arm nehmen ließ.
    »Warst du denn wenigstens diejenige, die Schluss gemacht hat?«, fragte ich schließlich.
    Sie zwinkerte mich tränenblind an. »Na klar«, sagte sie und befreite sich aus meinem Griff, »was denkst du denn von mir?«
    Ich lächelte sie an. »Ich denke, das ist ein guter Anfang.«
    »Und du so?« Sie schniefte noch immer und betrachtete mich forschend. »Aus Papa war ja nichts rauszukriegen, aber irgendwas ist doch passiert bei deinem komischen Seminar!«
    Ich zuckte lässig die Schultern. »Yolo«, sagte ich.
    »Bitte?« Eben hatte sie noch wie ein bedürftiges Kind geschaut, ihre Wangen waren noch immer nass, aber schon war ihr Blick wieder leicht verächtlich. Meine Ronja, wie ich sie kannte und liebte.
    »You only live once«, erklärte ich beflissen.
    »Schon klar.
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