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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz
Autoren: Janna Hagedorn
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in Hamburg. Ich habe eine Tochter und einen Mann. Mein Mann wird bald Vater.
    Ja, es gefällt mir in Spanien. Besonders hier. Me gusta Sevilla.
    Meine Absätze machten ein lautes Geräusch auf der spiralförmigen Metalltreppe, dann war ich auf der Dachterrasse angelangt. Aber ich traute mich nicht, in die Ecke zu sehen, wo die Schwalbe gewesen war. Noch nicht.
    Ich schloss die Augen und atmete tief die Luft ein, die hier oben intensiv nach Orangenblüten roch. Weiter unten, auf der Straße, dominierte die Mischung aus unökologischem Putzmittel und frittiertem Fisch, aber hier oben war die Luft paradiesisch, die ganze Welt ein flächiges Gemälde. Das tiefe Rot der Flachdächer, die weiße Wäsche, der blaue Himmel. Von der Kathedrale wehte der Wind das scheppernde Geräusch von Kirchenglocken herüber.
    Ausgerechnet heute Vormittag hatte mein Dozentenkollege Arturo es wieder einmal bei mir versucht. Nachdem ich bereits seine Einladung zu einem Ausflug in den nahen Nationalpark ausgeschlagen hatte und auch seinem Vorschlag nicht gefolgt war, mir das Strandhaus seiner Familie anzusehen, und mehreren Aufforderungen ausgewichen war, doch wenigstens nach der Arbeit noch auf ein Glas Vino tinto in eine Tapas-Bar zu gehen, hatte er sich diesmal etwas noch Traditionelleres ausgedacht. Ob ich mit ihm zu einer Flamenco-Veranstaltung gehen wolle? Kein Touristenschuppen, hatte er betont. Ausnahmsweise hätte ich für den heutigen Abend einmal eine echte Entschuldigung gehabt, die ihn nicht in seiner andalusischen Männerehre kränken konnte. Ich hätte ihm nur von meiner SMS von gestern Abend erzählen müssen und von wem sie stammte.
    Aber irgendetwas hatte mich davon abgehalten, Klartext zu reden. Quizás, hatte ich stattdessen gesagt, vielleicht. Sofort wieder den alten Schlager im Kopf gehabt, gesungen von Nat King Cole, als unsterblichen Ohrwurm: »Immer wieder frage ich dich, wie es mit uns weitergeht, und du sagst immer nur vielleicht, vielleicht, vielleicht.«
    Aber so war das. Seit ein paar Monaten war ich eine Frau, die zu allen möglichen Angeboten »vielleicht« sagte. Die es genoss, »vielleicht« zu sagen. Nachdem sie so früh so oft und eindeutig Ja gesagt hatte.
    Noch immer stand ich oben auf der Dachterrasse neben der Stiege und wagte nicht, in die Ecke zu sehen, in der die Schwalbe ihre Bruchlandung gemacht hatte. Stattdessen zog ich mein Smartphone aus der kleinen Lederhandtasche, die ich mir ein paar Tage nach meiner Ankunft in Sevilla gekauft hatte, weil mir meine Rucksäcke auf einmal so unpassend vorgekommen waren. Zu groß. Zu deutsch. Zu praktisch. Noch einmal suchte ich im Nachrichteneingang nach diesen Sätzen, die ich seit gestern Abend so oft gelesen hatte, dass ich sie schon auswendig kannte. Dann öff nete ich meinen Mail-Eingang und freute mich. Schon wieder neue Post von Ronja. Und neue Fotos. Auf dem ersten stand sie im kurzärmligen T-Shirt am Ufer eines Fjordes, und ich seufzte erleichtert auf. Was hatte ich mir Sorgen gemacht, dass sie frieren würde, hatte ihr für das halbe Highschool-Jahr extra eine Auswahl von Fleecejacken gekauft und sie ermahnt, mehrere Lagen übereinander zu tragen. Aber so, wie es aussah, schaffte es der Frühling sogar bis nach Anchorage, Alaska.
    Dann öffnete ich das zweite Foto im Anhang und dachte im ersten Moment an eine Verwechslung. Hatte Ronja mir aus Ver sehen ein altes Bild geschickt, von einer ihrer fürchterlichen Manga- Kostümpartys aus Hamburg? Aber dann sah ich genauer hin und erkannte im Hintergrund den Schriftzug ihrer amerikanischen Schule, und auch die Gesichter der anderen Teenager, die sich um Ronja drängten, waren mir unbekannt. »Mama!«, schrieb sie stolz dazu. »Die hatten hier ja keine Ahnung von Cosplay. Deshalb habe ich die erste Manga-Fangruppe an meiner Schule gegründet, und die finden das total cool.« Ich schmunzelte und schüttelte den Kopf. Ein Satz von Ann fiel mir ein, ein Satz über das Reisen. »Letzen Endes ist es egal, wo du bist«, hatte sie gesagt, »du nimmst dich ja ohnehin überall selbst mit hin.« Damals hatte ich den Satz brutal und ernüchternd gefunden, jetzt fand ich ihn tröstlich. Es stimmte, man konnte vor sich selbst nicht davonlaufen. Aber sich selbst verloren gehen, das konnte man auch nicht.
    Ronjas Mail war lang, sie berichtete nicht nur von der ersten Cosplay-Fangruppe in Anchorage, sondern auch von Geländewagenfahrten und Partys und seltsamen Ritualen bei Verabredungen mit Jungen. Nicht ein einziges
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