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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
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konnte Ayrid die Miene des Mädchens nicht
erkennen. SaSa wandte das Gesicht wieder ab und schien auf die Mauern
von R’Frow zu starren.
    »Sieh nicht hin«, sagte Dahar in einem Ton, der sie
erneut frösteln ließ. »Noch nicht.«
    »Noch nicht was?«
    »Die Kriegerin will mit dir reden, unter vier
Augen.«
    Eine Silhouette näherte sich vor dem unruhigen Schein des
jüngsten Feuers: Jehanna. Dahar entzog ihr seine Finger, doch
sie faßte nach, aus Angst, er könne nicht
zurückkommen.
    Er erstarrte mitten in der Bewegung. »Ich liebe dich«,
sagte er gereizt. Ayrid hörte den schmerzlichen Unterton; ihm
tat nicht weh, daß sie an ihm zweifelte, sondern daß sie
einen triftigen Grund dazu hatte. Er ging mit großen Schritten
außer Hörweite, stand mit dem Rücken zu R’Frow
und starrte auf die Feuer in der unsäglich weiten, welligen
Savanne, die unter dem blutigen Himmel gärte.
    »Jetzt sind wir quitt, Delysierin«, sagte Jehanna. Sie
pflanzte sich breitbeinig vor Ayrid auf, aber sie klang weder
großspurig noch grimmig. »Du hast mir geholfen, Talot aus
der Mauer zu holen, ich habe dir geholfen, ihn da
rauszuholen.« Sie hatte knapp mit dem Kopf in Dahars Richtung
genickt.
    »Er heißt Dahar«, sagte Ayrid. Aber Jehanna hatte
keine Lust, sich zu streiten. Sie hockte sich zu Ayrid hinunter, der
auffiel, wie sehr sich die Mimik der jungen Kriegerin gewandelt
hatte, seit sich ihre Wege vor einem knappen Jahr in der Savanne
gekreuzt hatten.
    »Erzähl mir, was passiert ist, Jehanna. Alles.«
    Jehanna berichtete kurz und sachlich, zeigte keine Gefühle.
Als sie fertig war, sagte Ayrid: »Du hättest dich nicht um
mich zu kümmern brauchen. Auch nicht um Dahar; er war in der
Mauer eingesperrt, er war geächtet.«
    Jehanna schwieg. Aber sie sah Ayrid an, die Augen der beiden
Frauen begegneten sich und ließen sich nicht los.
Schließlich sagte Ayrid sanft: »Ich glaube, da oben gibt
es noch mehr Menschen, Jehanna. Da oben irgendwo am Himmel, den die
Geds mit ihren Sternenbooten befahren.«
    Jehanna dachte darüber nach, dann zuckte sie die Achseln.
»Na wenn schon! Niemand kennt sie, ich nicht, du nicht, sie uns
auch nicht.« Einen Augenblick später setzte sie hinzu:
»Ich hab es nicht für dich getan. Ich hab’s für
mich getan.«
    »Ich weiß«, sagte Ayrid einigermaßen
erstaunt, weil sie es tatsächlich wußte; aber sie
hätte nicht sagen können, wieso. Es war, als ob das
Labyrinth jelitischer Ehrvorstellungen einen winzigen Moment lang wie
aus Glas gewesen war.
    Jehanna erhob sich, schlug sich den Schmutz von den
Händen.
    »Talot hat immer noch diesen Hautausschlag«, sagte
Ayrid.
    »Ja. Aber sie meint, daß er bei Frühmorgen
weggeht. Durch die Sonne.«
    »Wo wollt ihr hin, du und Talot?«
    »Zurück nach Jela.«
    »Nicht lange, und wir haben wieder Krieg.«
    »Ja.«
    »Du wirst sicher Kaderführerin.«
    »Ja«, sagte Jehanna fast ungehalten. Und dann: »Es
liegt nicht an mir, wenn es Krieg gibt.«
    »Aber du wirst kämpfen.«
    »Ich bin Kriegerin. Wie Talot. Lebe wohl, Ayrid.«
    »Lebe wohl, Jehanna.«
    Jehanna, die schon zu ihrem Feuer unterwegs war, blieb nach ein
paar Schritten stehen und rief über die Schulter: »Sieh zu,
daß Dahar dich aus dem Krieg heraushält. Geht woanders
hin.«
    »Wohin denn?«
    »Woanders hin eben!« rief Jehanna unwillig. »Wer
rauskriegt, daß da oben jemand lebt, der kriegt auch raus, wo
er hier unten hinkann, wenn’s brenzlig wird!« Sie setzte
ihren Weg fort.
    Ayrid ertappte sich dabei, wie sie lächelte.
     
    Ayrid saß da und wartete, daß Dahar wieder zu ihr kam.
Auch SaSa saß regungslos da, sie starrte mit unheimlicher
Geduld auf R’Frow. Ayrid begann zu frieren, ihr Magen knurrte.
Lahab brachte ihr etwas zu trinken, Kemblättertee, frisch
aufgegossen in einer großen, durchsichtigen Kugel, aus der sie
auch trinken mußte. Nichts regte sich in Lahabs Gesicht,
derselbe grobgeschnitzte, stumpfe Ausdruck, wie er ihn täglich
in der Unterrichtshalle mit sich herumgetragen hatte.
    Die Kugel war ein Gedhelm.
    Die Sterne kamen heraus, standen kalt und scharf in der klaren
Schwärze. Ayrid starrte in den Himmel, den Kopf im Nacken, den
Hals dick vorgewölbt. Ob sie sich noch zurechtfand? Die
vertrauten Sternbilder verspotteten sie: der Krummsäbel,
Kufa, das Schiff mit seinem rot leuchtenden Stern. Kugeln
aus explodierenden Gasen; Seelen von der Toteninsel. Rauhreif
versilberte die Spitzen der Grashalme. Sie fror.
    Dahar kam und trug sie näher zum Feuer, sein Gesicht
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