Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
entronnen war. Es gab keinen zünftigen Kampf
mehr. Es würde nie mehr einen geben. Sie nahm Talot das
Kugelrohr ab und schoß.
    »Jehanna«, sagte Talot, »Jehanna… laß,
das reicht. Er ist tot.«
    »Ich weiß«, brauste Jehanna auf, und Talot trat
einen Schritt zurück. Jehanna stürzte vor und riß
Talot in die Arme, doch Talot sagte mit erstickter Stimme:
»Jehanna, die Wand da…«
    In der Rückwand von Talots Zelle war unten ein Loch, und das
Loch war eben dabei, sich wie ein scheußliches Maul zu
schließen. Jehanna konnte gerade noch einen Blick auf das
geschiente Bein von Ayrid erhaschen. Und am Boden vor der Wand lag
das dunkle Wroffkästchen, mit dem die Delysierin ihr Zutritt zu
Talot verschafft hatte.
    »Schleimscheißende, verhurte Pißstadt!«
fluchte Jehanna lauthals. Sie packte Talot bei der Hand und rannte
mit ihr zur äußeren Mauer zurück. Delysier und
Jeliten, aus ihren Zellen befreit, rannten sinnlos durcheinander,
kämpften, kreischten, und über allem der mehrstimmige
schrille Alarm, der nicht zu orten war. Ein Menschenmob hielt einen
Ged am Boden, der zwar unverwundbar war in seinem Harnisch, aber
nichts gegen die Übermacht ausrichten konnte. Unter den Leibern
ragte nur der behelmte Kopf hervor.
    Jehanna blieb ruckartig stehen, zielte mit dem dunklen
Kästchen auf den Gedhelm und drückte mit allen Fingern zu,
wie sie es bei Ayrid gesehen hatte. Sie wollte den Gedhelm – und
den Kopf darin – so blubbern und gären sehen, wie es die Graue Mauer getan hatte. Sie wurde enttäuscht. Was immer
das Kästchen tat, dem Gedharnisch konnte es nichts anhaben.
    Der Blick aus den milchigen Gedaugen galt ihr. Eine aufreizende
Ruhe lag darin.
    Fluchend wirbelte Jehanna herum, zielte auf die Mauer und
preßte das Kästchen mit aller Kraft. Die Mauer warf Falten
und Blasen und begann zu schreien, erst hier, dann dort, an immer
mehr Stellen. Das Geschrei schwoll zu einem vielstimmigen Kreischen,
bis sich der schrille Chor der übrigen Wände dagegen wie
ein Winseln ausnahm. Jehanna biß die Zähne zusammen. Diese
Mauer nahm sich verdammt wichtig, als ob sie für alle
mitschreien müßte – für Kelovar, für all
die Toten in R’Frow, für Ayrid…
    Ayrid.
    Jehanna drängte ihren Mund an Talots Ohr und schrie:
»Geh vor! Raus aus der Mauer! Warte draußen!« Sie
stieß sie voran, auf das Loch zu, das sich vor ihnen aufgetan
hatte. Andere hatten es auch gesehen und kletterten ins Freie,
riefen, schrien wie Stumme, weil der infernalische Lärm alles
verschluckte, was von ihren Lippen kam. Jehanna raste zurück zu
dem Käfig, aus dem Ayrid Talot befreit hatte.
    Die Glasbläserin hatte Talot befreit.
    Erzfeindin, Hure, delysische Schleimschnecke…
    Jehanna zielte mit dem Kästchen schräg nach unten,
dahin, wo sie das Loch gesehen hatte, das Ayrid geschmolzen haben
mußte; Ayrid hatte das Kästchen liegen lassen und war
hindurchgekrochen. Warum? Was war hinter der Wand, das diese
Anstrengung wert gewesen war?
    Das Wroff schien den Mund aufzureißen und zu gähnen.
Jehanna ließ sich auf die Knie fallen und kroch voran. Die Luft
schmeckte und roch scheußlich. Jehanna rang nach Atem,
würgte und kroch weiter. Das Wroff dämpfte den
ohrenbetäubenden Lärm, und sie konnte hören, daß
in dem anderen Raum jemand wie wild mit dem Kugelrohr
schoß.
    Erzfeindin, Hure, delysische Schnecke…
    Ayrid lag direkt hinter der Wand am Boden. Jehanna grapschte nach
den Knöcheln der Delysierin und zog, am Ohr spürte sie den
Luftzug eines Querschlägers. Die Luft in dem Raum war unerwartet
klar, und als die Wand plötzlich Alarm schlug, kam Jehanna das
Kreischen nicht ganz so schrill vor wie in dem Raum, aus dem sie kam.
Der Verräter Dahar stand mit dem Rücken zu ihr, die
Schultern starr und vorgekrümmt, und schoß blindwütig
auf eine geschlossene Tür…
    Dahar. Seinetwegen hatte die Delysierin keine Mühe gescheut.
Wegen eines jelitischen Kommandanten.
    Jehanna stieß einen Schwall von Verwünschungen aus, die
außer ihr niemand hörte. Sie zerrte Ayrid durch das Loch
und zerrte sie so lange hinter sich her, bis die Luft wieder normal
war. Ayrids Gesicht war kreidebleich. Jehanna setzte ihr die
gespreizten Hände auf die Brust und stieß zu, um ihr den
Mief aus den Lungen zu pressen – sie legte allerdings mehr Kraft
in den Stoß, als nötig gewesen wäre. Ayrid
würgte und spuckte. Dann wuchtete Jehanna sie über die
Schulter und begann mit ihr zur Mauer zu laufen.
    Die Mauer hatte sich geschlossen.
    Nackte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher