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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
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Erleichterung und
Dankbarkeit die Augen fest zu. Ein Wunder. Dahar. Er lebte.
    Sie stemmte sich mühsam hoch, bis sie saß; die frische,
klare Luft schwappte wie Wasser. Beim Anblick des Landes, das sich
unter dem Abhang dehnte – weit, ohne Wände, ohne Mauern
– krampfte sich ihr Magen zusammen. Zuviel Land, zuviel
Himmel… Ihre Finger flochten sich in ein Grasbüschel und
ließen nicht mehr los.
    Die Savanne strebte einem fernen Horizont zu, der noch hellrot
angehaucht war von der untergehenden Sonne. Darüber der
Purpurhimmel, in dem die ersten Sterne glänzten. Darunter
Düsternis, in der lauter Lagerfeuer glommen. Zwischen den
Hügeln wand sich der von den Monden versilberte Fluß.
Ringsum wogte und krabbelte die Savanne, ein allgegenwärtiger
graugrüner Aufruhr. Ayrid erinnerte sich dunkel an Kemburis, die
sich bei Spätlicht einwickelten, an Dornbüsche, die beim
Laichen erbebten, an grüne, wächserne Pflanzenhäupter,
die sich erhoben und ihre klebrigen Mäuler aufsperrten… Sie
fröstelte.
    Der Wind brachte noch andere Gerüche: das Aroma reifer
Dahafrüchte und den Geruch von Tierkot und den würzigen
Hauch von fauligem Holz. Ein Krihund heulte.
    Ayrid tastete mit der Hand nach hinten, bis sie Dahars Finger
fand. »Wieso?«
    »Jehanna«, sagte er so schroff, daß sie sich
umdrehte. Doch seine Schroffheit galt weder ihr noch Jehanna.
    Er saß da, die Knie an die Brust gezogen, Augen wie schwarze
Krater im Mehlstaub der Monde. Hinter ihm ein Lagerfeuer, daneben
SaSa mit dem Rücken zu Ayrid kauernd, eine winzige, weiß
bestäubte Stille. Ein Glücksgefühl durchströmte
Ayrid. Hinter dem Feuer die tapsigen Bewegungen von Lahab; jenseits
von Lahab ragten die finstren Mauern von R’Frow empor und
löschten den Himmel aus. Das Feuer knisterte und knackte, eine
rauchlose heiße Glut im Zwielicht.
    Ayrid rückte ganz herum, um Auge in Auge mit Dahar zu sitzen;
die Bewegungen ließen ihr Bein pochen. Sie sah, wie sich ganz
in der Nähe eine Kemburi einwickelte, um die Nacht auszusperren.
Dicke, haarige Tentakeln schlängelten sich am Boden. Ayrid
wandte rasch den Blick ab und heftete ihn auf Dahar.
    »Jehanna… hat sie die Mauer geöffnet?«
    »Ja.«
    »Dahar…«
    »Jehanna und ich, wir führen dasselbe Schwert der Ehre.
Ich verdanke ihr mein Leben. Und dein Leben.« Er sagte das so
förmlich, daß Ayrid schon befürchtete, er könne
sich wieder hinter jener Wand verschanzen, die älter war als
R’Frow.
    Sie wollte es wissen. »Das Schwert der Ehre führen nur
Krieger. Du bist kein Krieger mehr.«
    Doch er zuckte nicht einmal mit der Wimper, schien sich mit seinem
Schicksal abgefunden zu haben, schien über den Punkt hinaus zu
sein, wo Spott ihm noch etwas anhaben konnte. Sie wußte, was
ihm dabei geholfen hatte.
    »Was wir von der Gedwissenschaft gelernt haben«, sagte
sie so fest, wie sie konnte, »das kann uns niemand mehr
nehmen.« Nur schon das Gedwort machte sie schwindeln: Wissenschaft, hier in der krabbelnden Savanne, angesichts der
hereinbrechenden Nacht…
    Dahar sagte: »Und was wir sonst noch von ihnen gelernt haben,
kann uns auch niemand mehr nehmen.«
    Sie sagte nichts. Die fernen Feuer wurden heller, und links von
ihr, viel näher als alle anderen, flackerte neben einem
schroffen Felsen ein neues auf.
    »Und was du von mir gelernt hast, kann dir auch niemand mehr
nehmen, Ayrid. Ich hatte die Wahl zwischen dir und den Geds, und ich
habe die Geds gewählt. Warum bist du mir nachgekommen?«
    »Weil ich wollte«, sagte sie genauso schroff wie er. Sie
rutschte und schob sich näher an ihn heran, und ein jäher
Schmerz raste durch ihr Bein.
    Er war augenblicklich neben ihr. »Beweg dich nicht –
dein Bein braucht Ruhe. Tut das weh?«
    »Ein bißchen.«
    Er tastete mit beiden Händen das Bein ab, und sie entsann
sich jener Nacht, als er ihr den Knochen neu gerichtet hatte; nachdem
er sich mit einem Daumenschuh der Geds Zutritt zu ihrem Zimmer
verschafft und sie ihn irrtümlich für Kelovar gehalten
hatte.
    Er schien sich auch daran zu erinnern. Seine Hände hielten
inne. »Kelovar ist tot«, sagte er.
    Ihr Mund wurde trocken. »Du?«
    »Jehanna.«
    »Ich bin froh, daß… daß du es nicht
warst.«
    »Nein. Ich habe nur versucht, Grax zu töten.«
    Ayrid überlief ein Schauder. Der kalte Felsboden drückte
sich durch den Tebel ins Fleisch. Eine Rotfliege glühte auf
ihrem Arm, biß und stach. Ayrid faßte nach Dahars
Fingern.
    SaSa drehte den Kopf und sah zu ihnen her. In der purpurnen
Düsternis
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