Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
fragte sie sich
weiter, war SaSa dann zu bemitleiden oder zu beneiden? Doch SaSa
brauchte kein Mitleid mehr, und zu beneiden war sie deshalb noch
lange nicht.
    Lahab begann mit stoischem Gleichmut die verstreute Glut wieder
einzusammeln. Dahar sagte: »Wo liegt die Stadt des Riesen? Hat
er dir den Weg beschrieben?« Ayrid hatte die Hand noch an Dahars
Stiefel, und bei dem Unterton in seiner Stimme drückte sie
unwillkürlich zu.
    SaSa kippte die Hand am Gelenk hoch und beschrieb einen hohen,
steilen Bogen, an dessen Ende die Fingerspitzen nach unten
zeigten…
    Dahar blickte Ayrid fragend an. Ayrid schüttelte den Kopf.
»Ich weiß auch nicht. So ähnlich hat der Riese
gemacht, als er im Sterben lag. Sah so aus, als hätte er uns
damit etwas sagen wollen. Aber was?«
    »Wie soll ich dich hinbringen«, fragte Dahar, »wenn
du nicht mal die Richtung weißt?« Er klang
mißmutig.
    »Dahin«, sagte SaSa und zeigte auf die Savanne hinunter.
Die Lagerfeuer, in die das Erdbeben gefahren war – wenn es denn
eines gewesen war – sie brannten wieder. Und abermals machte das
offene, weite, wilde Land Ayrid schwindeln.
    »In dieser Richtung liegen Jela und Delysia«, sagte
Dahar. »Wenn sie nicht in Schutt und Asche liegen.«
    »Dahinter«, sagte SaSa. »Weiter weg.«
    »Dahinter liegt das Meer.«
    »Und die Insel der Toten«, sagte Lahab vom Feuer
her, der Handwerker und Bürger und einzige Linsenschleifer der
Welt.
    Dieser Welt.
    Ayrid spürte die Starre in Dahars Haltung, mit jeder Faser
seines Körpers stand er unter dem schrecklichen, ziellosen Bann
ihrer ausweglosen Lage. Er sagte: »Niemand kann zur Toteninsel. Unmöglich, daß der Riese von da
gekommen ist. Wir können nirgends hin. Lahab, wenigstens du
solltest nach Jela zurückkehren.«
    »Nein«, sagte Lahab einsilbig. Er sah SaSa von der Seite
an, unter herabgelassenen Augenlidern.
    Ayrid wußte, was ihnen bevorstand: sie würden sinnlos
durch die Savanne wandern, dem Fluß folgen, bis sie erst
Blasen, dann Schwielen an den Füßen hatten, um die Wette
mit Krihunden und Kemburis jagen, ohne Ziel. Während andere
Menschen da draußen zwischen den Sternen… von
Frühmorgen bis Spätlicht würden sie unterwegs sein,
soweit gehen, wie die Füße sie trugen an dem
unnatürlich langen Tag auf Quom, und soviel schlafen wie irgend
möglich in der unnatürlich langen Nacht auf Quom. Frierend
und hungrig und ohne Bleibe. Heimatlose.
    An Dahars Hand kämpfte sie sich vom Boden auf, bis sie stand.
Der Wroffanzug linderte den pochenden Schmerz. Dahar legte den Arm um
sie, und sie schluckte die Tränen hinunter; seine Berührung
gab ihr Halt und Trost in dieser fremden Nacht.
    Ein Stern kam über die Savanne geflogen.
    Lahab sank auf die Knie. Aus dem Stern wurde ein grellweißes
Licht, das mit großem Tempo auf sie zukam. Als es über sie
hinwegflog, sah Ayrid, den Kopf im Nacken, Mund und Augen weit
geöffnet, einen zerschundenen Metallbauch, bemalt mit einem
Emblem, das durch die Lichtquelle deutlich zu erkennen war: eine
Mondsichel mit drei Sternen. Als Dahar nach Luft schnappte, war das
fliegende Ding schon wieder zu einem großen, hellen Stern
geschrumpft.
    Der Stern hörte auf zu schrumpfen, beschrieb einen Bogen,
schwebte auf der Stelle, dann sank er auf die düstere Silhouette
des gekappten Hügels herunter, auf dem R’Frow gestanden
hatte.
    Lahab kam taumelnd auf die Füße und trat zu Dahar.
»Geds?«
    Dahar gab keine Antwort. Er stand vorgebeugt, die Sehnen straff
wie gespannte Drähte, in denen der Strom nicht fließen
konnte, weil der Stromkreis noch nicht geschlossen war. Ayrid war
entgeistert, brachte kein Wort über die Lippen. Nur SaSa schien
unbeeindruckt, ihre Augen waren so undurchsichtig wie schwarze,
polierte Murmeln.
    Der Stern, der kein Stern war, stieg wieder empor und kam
zurückgeflogen. Ihr Feuer lag näher am Hügel von
R’Frow als alle anderen, und das Metallding kam genau auf sie
zu. Vierzig Schritt vor ihnen kam das Sternenboot zum Stillstand,
hing ein paar Atemzüge lang in der Luft und ließ sich dann
fallen. Es setzte lautlos auf. Zu der grellen Lichtquelle gesellte
sich eine zweite, schwächere; Licht, das aus einer Öffnung
fiel.
    Zwei Gestalten kamen zum Vorschein… Menschen. Sie
kamen langsam auf sie zu, trugen Waffen in den Händen, wie Ayrid
sie noch nie gesehen hatte, aber ohne Drohgebärde, ohne sie zu
heben. Ihre Hand, die auf Dahars Schulter lag, verkrampfte sich.
Dahar zog weder Kugelrohr noch Messer.
    Als die beiden näher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher