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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
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Wandschirm. Der
andere tat dasselbe. Beiden ging dasselbe durch den Kopf, nicht weil
sie die Gedanken teilten, wie das andere Spezies konnten, sondern
weil sie das dachten, was alle Geds – genetisch gleichartig und
somit Tür eine intelligente Zivilisation prädestiniert
– in dieser Situation denken würden. Sie nahmen ihre
Pheromone wahr, und sie dachten an Ged, sie dachten an die
Verteidigung ihrer Heimat, sie dachten an die Flotte und daran, wie
wichtig es war, den zentralen Widerspruch zu lösen.
    Sie dachten daran, daß ihnen nicht mehr viel Zeit blieb.

 
2
     
    Der Fluß stieg zwischen den Ufern, die dunkle Flut
wälzte sich gleichzeitig in beide Richtungen. Eine
Frühnachtbrise trug den Geruch von Gebirgswasser heran. Ayrid
hockte regungslos an ihrem Feuer, das sie auf einem breiten, nackten
Felsband zwischen Fluß und Hochlandsavanne entzündet
hatte. Ein wahres Fanal in der hereinbrechenden Düsternis, das
von den umliegenden Hügeln aus nur allzu leicht auszumachen war.
Bei einem einsamen, ohnmächtigen Wanderer sprach so ein Feuer
für pure Dummheit oder blanken Hohn oder für beides. Ayrid
kümmerte das nicht mehr.
    Ein Messer, mit dem sie nicht umzugehen verstand, lag neben ihr
auf dem Felsboden, zusammen mit einer knubbligen blauen Glasflasche.
Kleinmond war aufgegangen und legte einen Schleier weißen
kalten Lichts über die Savanne. Die zahllosen Regungen der
Savanne zu Beginn von Dreinacht, vor denen Ayrid mit
schreckgeweiteten Augen auf das kahle Felsenriff geflohen war, waren
schließlich zum Erliegen gekommen. Was kam als Nächstes?
Stadtgeboren, wie sie war, hatte sie keine Ahnung. Der Einbruch der
Nacht war schon bizarr genug gewesen.
    Nicht weit vom Riff wappnete sich eine riesige Kemburipflanze, die
sich den ganzen Spättag über still gefläzt und nichts
als Sonnenlicht getrunken hatte, gegen die bevorstehende Kälte,
indem sie sich in ihre zahllosen, schwammigen Ranken wickelte. Dabei
hatte sich eine Ranke um ein kleines, spitzohriges Tier geringelt,
das Ayrid fremd war, und die Handvoll atmender Wärme in das
Knäuel hineingezogen; das Tierchen hatte nur einmal kurz
gekreischt.
    Nicht weit von der Kemburi hatten Nadelbüsche jählings
ihre spitzen, dornenartigen Sporenträger über das struppige
Gras geschossen. Kleine, hektische Wildblumen waren im Glast zwischen
Frühmorgen und Spätlicht in fieberhafter Eile
herangewachsen und hatten genauso flink ihre strahlend hellen
Blüten wieder unter stachligen Kronblättern versteckt.
Irgend etwas hatte einen beißenden, muffigen Geruch in den Wind
gesprüht, und irgend etwas anderes hatte mit einem raschen
Knistern wie von lauter Zweigen reagiert. Die ganze Savanne hatte
sich nun gegen die Nacht gewappnet, eine glanzlose, stachlige Haut
war über den Felsboden gekrochen, und seit jene stumpfe,
eintönige Periode begonnen hatte, waren die Tiere verstummt, und
nichts regte sich mehr.
    Jetzt gab es wieder Bewegung.
    Müde ging Ayrid vom Feuer zum Flußufer, kniete sich
hin, schob die Hand nach unten und tastete nach den
Lehmkügelchen, die sie unter den felsigen Überhang geklebt
hatte. Beide Kügelchen waren noch da; dann stieg der Fluß
also doch nicht so rasch, wie sie befürchtet hatte. Er
würde also nicht über die Ufer treten – zumindest
nicht hier – bevor Dreinacht vorüber war. Wenn sie wollte,
konnte sie hier bis Frühmorgen bleiben.
    Aber warum sollte sie hier warten? In wenigen Stunden würde
Großmond aufgehen und ihr den Weg leuchten; es gab keinen Grund
zu warten. Es gab keinen Grund, nicht zu warten.
    Embri…
    Die Augen zugepreßt, die Finger im kalten Wasser, wartete
Ayrid den neuen Ansturm von Schmerz ab. Es würde vorbeigehen
– das hatte sie bereits in den drei Tagen ihres Exils gelernt.
Es ging immer vorbei. Sie grub die Nägel der einen Hand in das
Gelenk der anderen und wartete.
    Das Feuer war niedergebrannt. Ayrid entfachte es von neuem, indem
sie geschickt Grashalme und dünne Zweige nachlegte und jedes
Stückchen ausnutzte und sparsam mit dem Vorrat umging. Ein
Haufen Buschwerk lag neben einem Haufen doppelzüngiger
Grashalme, die aus unerfindlichen Gründen an manchen Stellen der
Savanne wuchsen und an anderen nicht. Sie verstand sich aufs
Feuermachen, dachte sie spöttisch – alle Glasbläser
verstanden sich aufs Feuermachen. Das war das erste, was sie richtig
gemacht hatte auf ihrem Stolperweg von Delysia ins Exil.
    Als das Feuer wieder lichterloh brannte, setzte sich Ayrid auf den
Boden und starrte in die
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