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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
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Glaspulver
verklebt. Grimmig zog sie einen anderen Finger durch das Glas, und
dann einen dritten.
    Als sie den Daumenballen durch das Glas zog, fuhr ein Schmerz in
ihren Arm, so scharf, daß sie einen Moment lang nichts sehen
konnte.
    Eine Zeitlang kauerte Ayrid auf dem Felsboden, den Kopf gebeugt,
schmerzgeblendet. Als der Schmerz ein wenig nachließ, stand sie
auf, ging an den Fluß und hielt die Hand ins Wasser, bis sie
gefühllos war vor Kälte, und noch lange danach.
    Mit der Linken richtete sie das Feuer und schlug sich in den
Burnus ein. Als die Rechte aus der Kälte des Wassers erwachte,
kehrte der quälende Schmerz zurück. Ayrid rollte sich in
ihre Decke, nahm die geschundene Hand heraus und legte sie auf den
harten Steinboden. Der Schmerz des Fleisches triumphierte über
den Schmerz der Seele, und zum erstenmal, seit man sie mit Sack und
Pack und ohne Embri aus dem Osttor von Delysia gestoßen hatte,
fiel sie in einen traumlosen Schlaf.

 
3
     
    Diese delysische Frau schlief die ganze Frühnacht durch. Sie
wachte nicht auf, um Holz nachzulegen, sie wachte nicht auf, um
Witterung aufzunehmen, dachte Jehanna angewidert. Von dem Augenblick
an, da sich die Schnecke in die Decke gerollt hatte, bis zu dem
Augenblick, da sie sie mit dem Fuß wachstieß, lag sie da,
regungslos und blind wie ein Stein, und das, obwohl der Fluß
bedrohlich anschwoll und ein Krihund ganz in der Nähe
herumgegeifert hatte.
    Waren sie alle so, die Delysier? Das konnte schlecht sein, sagte
sich Jehanna, sonst wäre Jela aus dem letzten Krieg –
für den Jehanna noch zu jung gewesen war – als Sieger
hervorgegangen und wäre nicht gezwungen gewesen, sich mit
Delysia zu verbünden. Manche Delysier mußten
tüchtige Kämpfer sein. Aber der da war natürlich
Abschaum, ein Frevler, jemand, den selbst Delysia ausgestoßen
hatte. Ein jelitischer Krieger hätte sich unter ähnlichen
Umständen getötet. Stolz – die Delysier besaßen
keinen Stolz. Und sie, Jehanna, hatte sich verpflichtet, einem
solchen Vagabunden zu helfen! Einem Verbannten, einem
Glasbläser, einem läufigen Weichling, der von
Frühnacht bis Finstertag in der offenen Savanne lag und
schnarchte, und der den ganzen Finstertag durchgeschnarcht
hätte, hätte sie, Jehanna, ihn nicht geweckt.
    Jehanna hatte die langen Stunden der Frühnacht in vier
Lichtschlafperioden verbracht. Zwischendurch hatte sie den Krihund
vertrieben, einen weiten Halbkreis vor dem Fluß
durchkämmt, ihr Messer zurückgeholt, das sie bei der
Kemburi verloren hatte, die jetzt durch ihre Säfte
lückenlos gegen Wärmeverlust isoliert und ganz harmlos war.
Sie hatte ihre Waffen -Messer und Armbrust – getestet und nach
Kriegerart, ohne sichtbare Gymnastik, ihre Muskulatur gegeneinander
ausgespielt. Diese periodische Aktivität erhielt den Körper
geschmeidig und vertrieb die Kälte, die die Glieder beschlich,
während Quom sich allmählich von der Sonne fortdrehte. Als
sie mit dem eingefleischten Zeitgefühl des Kriegers aus der
vierten Schlafperiode erwachte, kletterten gerade die hellen
Zwillingssterne des Leuchtfeuers über den Horizont und
verkündeten den Beginn des Finstertages. Jehanna bespritzte
Gesicht und Arme mit dem eiskalten Flußwasser, zerstreute alle
Spuren ihres Lagers und machte sich auf, die delysische Schnecke zu
wecken.
    Pfui, wie die Schnecke stank! Jehanna konnte sich nicht erinnern,
je davon gehört zu haben, daß sich delysische Frauen nicht
wuschen, und die hier mußte sich seit Tagen nicht gewaschen
haben. Die Delysierin schlief wie ein Stein und verströmte einen
Geruch, der alle Krihunde der Savanne sabbern ließ. Hätte
Jehanna nicht befürchtet, der Tölpel könnte dabei
ertrinken, dann hätte sie ihn vor dem Frühstück in den
Fluß geworfen.
    »Delysier. Aufstehen. Wir haben Finstertag.«
    Keine Antwort. Ein Feind hätte der Frau ein Bein abschneiden
können, dann hätte sie sich auf die verstümmelte Seite
gewälzt und ihm das zweite hingehalten.
    »Los, steh auf!« Jehanna stieß sie unsanft mit dem
Fuß an.
    Die Frau stöhnte leise, setzte sich auf und blinzelte gegen
das Licht der Sterne und der beiden Monde an, als sei heller Tag. Ihr
Gesicht war weiß, ihre Bewegungen ungelenk. Jehanna behielt
recht: eine Schnecke mit der Dummheit einer Schnecke. Jehanna hatte
letzte Nacht stundenlang nachgedacht; es war nicht ausgeschlossen,
daß diese Delysierin ihr das Leben aus purer Dummheit gerettet
hatte und nicht aus Kampfesmut. Wie kam diese Frau dazu, die Flasche
mit
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