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Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2

Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2

Titel: Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
Autoren: Tracy Margaret; Hickman Weis
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Der alte Mann
    Tika Waylan richtete seufzend ihren Rücken auf und bewegte ihre Schultern, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Sie warf den seifigen Putzlappen in den Wasserkübel und sah sich im leeren Raum um.
    Es wurde immer schwieriger, dieses alte Wirtshaus zu halten. Zwar war das Holz liebevoll poliert, aber Liebe und Wachs konnten die Sprünge und Risse in den abgenutzten Tischen nicht verbergen. Das Wirtshaus Zur letzten Bleibe war alles andere als geschmackvoll eingerichtet, im Unterschied zu jenen Wirtshäusern in Haven, von denen sie gehört hatte.Aber es war gemütlich. Der Baum, in dem die Gaststube gebaut war, umfing sie zärtlich mit seinen uralten Ästen, während die Wände und Möbelstücke um die Zweige des Baumes mit einer solchen Sorgfalt verarbeitet worden waren, daß unmöglich zu erkennen war, wo das Werk der Natur aufhörte und die Geschicklichkeit des Menschen begann. Die Theke schien wie eine glänzende Woge um das lebende Holz zu steigen und zu fallen. Das Buntglas in den Fensterscheiben warf ein angenehmes Licht in den Raum.
    Die Schatten schrumpften zusammen, als es Mittag wurde. Das Wirtshaus Zur letzten Bleibe würde bald öffnen. Tika sah sich um und lächelte zufrieden. Die Tische waren sauber poliert. Sie mußte nur noch den Boden fegen. Sie begann gerade, die schweren Holzbänke zur Seite zu schieben, als Otik aus der Küche trat.
    »Könnte wieder ein herrlicher Tag werden – sowohl was das Wetter als auch das Geschäft angeht«, sagte er und quetschte seinen stämmigen Körper hinter die Theke. Während er die Krüge aufstellte, pfiff er fröhlich ein Lied.

    »Mir wären ein ruhigeres Geschäft und wärmeres Wetter lieber«, antwortete Tika und zerrte an einer Bank. »Gestern habe ich mir die Füße wundgelaufen und wenig Dank erhalten und noch weniger Trinkgeld! So ein finsteres Publikum! Alle nervös; bei jedem Geräusch springen sie hoch. Gestern abend habe ich einen Krug fallen gelassen, und – ich schwöre dir – Retark hat sofort sein Schwert gezogen!«
    »Pah!« erwiderte Otik. »Retark gehört zur Wache der Sucher von Solace. Die sind immer nervös. Das wärst du auch, wenn du für Hederick arbeiten müßtest, diesen fanat ...«
    »Vorsicht!« warnte Tika.
    Otik zuckte mit den Schultern. »Solange der Oberste Theokrat nicht fliegen kann, wird er uns nicht belauschen. Ich würde seine Stiefel auf den Stufen hören, bevor er mich hören könnte.« Aber Tika bemerkte, daß seine Stimme leiser wurde, als er fortfuhr. »Die Bewohner von Solace werden sich das alles nicht mehr lange gefallen lassen, denke an meine Worte! Leute verschwinden, werden wer weiß wohin verschleppt. Es ist eine traurige Zeit.« Er schüttelte den Kopf. Dann strahlte er. »Aber gut fürs Geschäft.«
    »Bis auch wir dichtmachen«, sagte Tika düster. Sie griff nach dem Besen und fing energisch zu fegen an.
    »Selbst Theokraten müssen ihre Bäuche stopfen und das Feuer und den Schwefel aus ihren Kehlen spülen.« Otik gluckste. »Es muß schon eine durstmachende Arbeit sein, den Leuten tagein, tagaus flammende Ansprachen über die Neuen Götter zu halten – er ist jeden Abend hier.«
    Tika hörte mit dem Fegen auf und lehnte sich gegen die Theke.
    »Otik«, sagte sie ernst, ihre Stimme war gedämpft. »Es gibt auch noch andere Gerüchte – Gerüchte über Krieg. Im Norden sammeln sich Soldaten. Und diese seltsamen Kapuzenmänner in der Stadt, die sich mit dem Obersten Theokraten herumtreiben und Fragen stellen.«
    Otik betrachtete zärtlich das neunzehnjährige Mädchen und streichelte ihre Wange. Er war zu ihr wie ein Vater, seitdem ihr
leiblicher Vater auf mysteriöse Weise verschwunden war. Er zupfte an ihren roten Locken.
    »Krieg. Pah.« Er rümpfte die Nase. »Seit der Umwälzung wird über Krieg geredet. Es ist nur Gerede, Mädchen. Vielleicht verbreitet der Theokrat solche Gerüchte, um die Leute bei der Stange zu halten.«
    »Ich weiß nicht.«Tika runzelte die Stirn. »Ich ...«
    Die Tür öffnete sich.
    Tika und Otik schraken beunruhigt auf und wandten sich zur Tür. Sie hatten keine Schritte auf den Stufen gehört, und das war unheimlich! Das Wirtshaus Zur letzten Bleibe war hoch in die Zweige eines mächtigen Vallenholzbaumes gebaut worden, so wie jedes Gebäude in Solace, außer der Schmiede. Während des Terrors und des Chaos, die der Umwälzung folgten, hatten die Städter beschlossen, sich in den Bäumen niederzulassen. Und so war aus Solace eine Baumstadt geworden,
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