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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
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Flammen. Der Schein des Feuers glitt
über die Buckel der blauen Flasche. Draußen in der dunklen
Savanne raschelte das Gras, roch nach Dornbusch und schickte ein
feines, scharfes Aroma aus, das Ayrid nicht kannte. Jenseits der
Savanne erstreckte sich noch mehr Savanne, und immer ging es bergab,
bis irgendwo – drei Tage zurück – das breite Tal lag,
das zur See abfiel, wo die Städte lagen, Delysia und Jela. Und
Tage voraus, oben im Gebirge…
    Eine Armeslänge über ihr flog etwas mit vier
Flügeln und einem riesigen, nickenden Kopf hinweg. In der Ferne
heulte ein nachtwandelnder Krihund grimmig den kalten Mond an.
     
    Ein Geräusch wie von zuschnappenden Kiefern, und dann ein
Schrei.
    Ayrid wickelte sich aus ihrer Decke und krabbelte auf die
Füße. Einen abscheulichen Moment lang, noch halb im
Schlaf, wußte sie nicht, wo sie war und was überhaupt los
war. Wieder erscholl der Schrei, etwas Weißes blitzte in der
Düsternis knapp hinter der Felsbank, und Ayrid spurtete los. Auf
halbem Weg zur Kemburi holte ihr Verstand sie ein. Der Schrei hatte
nicht die hohe Tonlage von Angst; er hatte eine andere Ursache.
    Die Kimburi, verborgen im hüfthohen Gras, hatte Wärme
gespürt und ihre seilartigen Ranken geöffnet.
    Umzingelt von graugrünen Schlingen nahe der Felsbank
kämpfte eine Frau.
    Sie stieß mit dem Messer nach der Pflanze und schrie erneut;
der Schrei war so hoch, daß Ayrid meinte, ihre Trommelfelle
müßten zerreißen, und es lag solch ein
Vergnügen darin, daß Ayrid verblüfft innehielt: Diese
Frau genoß den Kampf mit der Kemburi! Zwei dicke,
schwammige Ranken hielten ihr linkes Bein umklammert, derweil weitere
Schlingen auf sie zukrochen. Verlangsamt durch die Nachtkälte,
verlagerte sich der Rumpf der Kemburi nur träge in Richtung des
Warmblüters. Die Pflanze würde zu spät kommen, denn
schon hatte die Beute eine Schlinge gekappt und damit begonnen, die
andere mit den geschulten Hieben eines Kriegers zu attackieren.
    Krieger – sie war eine jelitische Kriegerin.
    Ayrid nahm das Messer fester in den Griff, das sie halbwach und
ohne hinzusehen gepackt hatte. Doch die Schlaftrunkenheit hatte ihr
einen Streich gespielt; sie hielt nicht das Messer in der Hand,
sondern die blaue Glasflasche.
    Ein wütender Hieb kappte die zweite Ranke. Die Jelitin trug
ihre Armbrust auf den Rücken geschnallt, doch es bedurfte nicht
der Armbrust, um diesen Kampf zu gewinnen. In derselben Bewegung, mit
der sie sich von der zweiten Ranke befreite, fuhr die Frau herum und
sah zu Ayrid hoch. Der Mondschein fiel auf ihr Gesicht. Sie war eine
Jelitin, und sie lächelte mit entblößten
fahlweißen Zähnen. Sie kam näher.
    »Delysier«, sagte sie samtweich. »Jetzt du,
Delysier. Jetzt du.«
    Etwas in Ayrid rastete ein. Delysier – sie war im
Begriff zu sterben, weil sie ein Delysier war, und das, wo Delysia
sie ausgebürgert, gewaltsam von ihrer Tochter getrennt und in
die tödliche Savanne verbannt hatte. Das war zuviel, paßte
allzu gut zusammen; die letzten drei Tage hatten sie völlig aus
dem Gleichgewicht gebracht, und ihr Bild von der Stadt, in der sie
aufgewachsen war, war ein einziger Scherbenhaufen. Ketzerin,
Verräterin, ein schlechtes Vorbild für die delysischen
Kinder, einschließlich ihres eigenen – und jetzt sollte
sie sterben, weil sie eine Delysierin war. Ausgerechnet sie!
Die Vernunft kollabierte, und Ayrid schlug die Hände vors
Gesicht und lachte, lange, heulende Schluchzer eines Lachens, das
sich schrill und jaulend aus Bauch und Hals rang; Ayrid keuchte und
drohte an den Scherben dieses Lachens zu ersticken. »Jetzt
du, Delysier.« Delysier!
    Die Jelitin runzelte die Stirn, zauderte – das war offenbar
eine Reaktion, mit der sie nicht gerechnet hatte. Und während
sie zögerte, schlug die zweite Kemburi zu. Sie saß
flußaufwärts von der ersten, versteckt im Gras; im Laufe
des Kampfes war ihr der warme Körper der Jelitin näher
gekommen. Zwei Ranken, so dick wie Handgelenke, schlangen sich um die
Taille der Kriegerin, dann noch eine und noch eine. Die Frau stand
mit dem Gesicht zu Ayrid gewandt, nicht zu der Kemburi, und wurde
erstens überrascht und hatte zweitens eine schlechte
Ausgangsposition zum Kämpfen. Doch ihre Reflexe waren
hervorragend. Im Nu hatte sie sich gedreht, schwang das Messer und
wehrte die Schlingen ab, die nach ihrem Kampfarm tasteten, wobei sie
ihren Kampfschrei ausstieß, als handle es sich dabei auch um
eine Waffe.
    Ayrid, ebenso eingeschüchtert von ihrem wilden
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