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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht
Autoren: Nancy Kress
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nicht bloß das Licht, sondern
auch die Luft geändert.
    Sie wollte durch das Loch zurück. Das Loch war nicht mehr
da.
    Drüben an der Wand stand Grax an einem flachen Vorsprung
– ohne Helm. Ayrid tastete nach dem Wroffkästchen,
vergeblich, sie hatte es fallenlassen, weil sie beide Hände
gebraucht hatte, um hierherzukommen; es lag unerreichbar in dem
anderen Raum.
    In dem anderen Raum…
    Dahar kam auf sie zu. Doch es gab weder Zeit, noch Luft, beides
war am Felsboden zersplittert. Abertausend rote und blaue Splitter,
und dann versagte die Beleuchtung.

 
74
     
    »… Jelitin Jehanna und die Delysierin Ayrid und der
Delysier Kelovar verbündet, um in die Mauer
einzudringen…«

 
75
     
    Dahar sprang auf die verkrümmt daliegende Menschin Ayrid zu
und griff nach ihrem Handgelenk. Grax sah ihn in seinem Helm rufen,
konnte ohne Helm aber nicht hören, was er sagte. Das brauchte er
auch nicht. Die Frau erstickte an richtiger Luft, und ihr
biologischer Schockzustand hatte Dahars frühere Einhelligkeit
mit ihr geweckt.
    Wie hatte Ayrid sich Zugang verschafft? Der Druck der
Gedatmosphäre war größer als der Druck der
Menschenatmosphäre; der Raum verlor Luft. Doch das
Bibliothekshirn kümmerte sich bereits; Grax sah, wie sich das
Leck hinter Ayrid blitzschnell schloß. Aber irgendwie hatten
sich die Menschen Zutritt verschafft. Wie?
    Er schied Panik aus, die Pheromone waren noch penetranter als die
der Scham von vorhin. Er hatte den schrillen Alarm gehört, als
Ayrid durch das Loch gekrochen war. Was war los in der Stadtmauer? Die siebzehn… Grax wandte sich der Tür in der
gegenüberliegenden Wand zu. Doch ehe er einen Schritt in die
Richtung machen konnte, flog die Tür auf, und Fregh und
Krak’gar stürmten herein, in voller Montur und bewaffnet.
Die Erleichterung ließ Graxens Panikpheromone versiegen, und er
wandte sich wieder Dahar zu, der neben Ayrid kniete.
    Er begegnete dem Blick des Menschen. Sie sahen einander in die
Augen.
    Schwarze Menschenaugen und milchige Gedaugen; Worte waren
überflüssig.
    Tausche die Luft aus! Sie stirbt!
    Sie ist in die Mauer eingedrungen. Sie ist eine Gefahr für
uns.
    Grax verfolgte, wie sich Dahars Gesicht veränderte, wie sich
die nervöse Masse an überflüssigen Gesichtsmuskeln
verzerrte, als Dahar die Situation begriff. Graxens Pheromone rochen
plötzlich nach blankem Staunen. Dahar nahm wahrhaftig an, ein
Ged wäre imstande, Ayrid zu helfen. Er nahm wahrhaftig an, ein
Ged wäre genetisch fähig, dem Leben eines Menschen eine
höhere Priorität einzuräumen als dem Schutz der
eigenen Spezies. Der Mensch nahm wirklich an, daß ein Ged das
tun würde – daß ein Ged das konnte. Als seien
die Geds der gleichen biologischen Schande fähig wie diese
Tiere.
    Schon allein die Idee war unfaßbar. Sie flackerte am Rande
seines Bewußtseins und erlosch, und in dem Augenblick, da sie
erlosch, begriff Grax, daß er der einzige Ged war, der je die
ganze Fremdheit menschlichen Denkens zu spüren bekommen hatte.
Die Art, wie Menschen dachten, war fremder als man unterstellt hatte,
und so abartig, wie es nicht einmal die Diktion des Spekulativen in
Worte kleiden konnte. Das Bibliothekshirn konnte die Denkungsart
niederer Lebewesen simulieren, aber nicht solcher Tiere, die
unterstellten, die Geds könnten…
    Dafür gab es keine Grammatik.
    Als Dahar aufsprang, machte Grax nicht einmal den Versuch, sich
dem Menschen in den Weg zu stellen.
    Er bückte sich nach seinem Helm. Der Helm war fort.

 
76
     
    »Lösung des Zentralen Widerspruchs: Wie kann
interne Gewalt die Entwicklung der Intelligenz fördern?
    Die Menschen wechseln ihr Zugehörigkeitsgefühl ohne
Rücksicht auf ihre vorherige Pseudospezies. Dazu bedienen sie
sich der Gewalt. Vermittels Gewalt können die
überdurchschnittlichen Hirne die eine Pseudospezies verlassen
und in Harmonie mit einer anderen singen, wobei sie
naturgemäß die besten technologischen Ideen im Gepäck
haben. Die Vernichtung überdurchschnittlicher Hirne wird mehr
als ausgeglichen durch die streunende Loyalität, und zwar auf
exakt dieselbe Weise, wie der Mangel an Einhelligkeit mehr als
ausgeglichen wird durch eine enorme genetische Variationsbreite. Ohne
diese genetische Variabilität in der Frühphase hätten
sich die Menschen nicht in diesem Tempo entwickelt. Ohne streunende
Loyalität in den späteren Perioden hätten sie sich und
ihren Planeten längst ausgelöscht. Statt dessen haben
überdurchschnittliche Hirne immer wieder ihre
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