Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann im braunen Anzug

Der Mann im braunen Anzug

Titel: Der Mann im braunen Anzug
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
Prolog
     
    Nadina, die russische Tänzerin, die Paris im Sturm erobert hatte, verneigte sich unter dem rauschenden Applaus. Das männliche Publikum trampelte vor Begeisterung, der Vorhang hob sich wieder und wieder. Endlich verließ sie die Bühne. Ihr Manager schloss sie begeistert in die Arme.
    «Herrlich, meine Liebe, herrlich! Heute haben Sie sich selbst übertroffen.» Galant küsste er sie auf beide Wangen.
    Madame Nadina ließ es wie immer geduldig über sich ergehen und verschwand dann in ihrem Ankleidezimmer, das ein Meer von Blumen war. Jeanne, ihre Garderobenfrau, reichte ihr eine Karte.
    «Wünschen Sie den Herrn zu empfangen, Madame?», fragte sie. Nadina warf einen Blick auf die Karte; sie las den Namen «Graf Sergius Pawlowitch», und im selben Moment leuchteten ihre Augen freudig auf.
    «Rasch meinen Umhang, Jeanne, ich will den Grafen empfangen. Und sobald er hier ist, können Sie gehen.»
    «Bien, Madame.»
    Die Tänzerin legte sich ein prächtiges Etwas aus maisfarbener Seide und Hermelin um. Sie lächelte ihr Spiegelbild an und nickte zufrieden.
    Ihr Besucher ließ nicht lange auf sich warten – ein Mann mittlerer Größe, sehr schlank, sehr elegant, sehr bleich und ohne besonders auffallende Merkmale, abgesehen von seinem Benehmen. Mit übertriebener Höflichkeit neigte er sich über die dargereichte Hand.
    «Madame, ich bin überglücklich, Sie begrüßen zu dürfen.»
    Das waren die letzten Worte, die Jeanne hörte, ehe sie das Zimmer verließ. Nadinas Lächeln vertiefte sich.
    «Es ist wohl besser, wenn wir nicht Russisch sprechen, lieber Graf», sagte sie, «obwohl wir anscheinend Landsleute sind.»
    «Da wir beide kein Wort Russisch verstehen, Verehrteste, dürfte das entschieden vorzuziehen sein», erwiderte der Graf lächelnd.
    Die folgende Unterhaltung wurde auf Englisch geführt, und sie ließ keinen Zweifel daran offen, dass dies die Muttersprache des Grafen war. Seine übertriebenen Gebärden hatte er abgelegt wie ein Verwandlungskünstler.
    «Ich gratuliere zu Ihrem Erfolg», sagte er.
    «Es ist nicht mehr das Gleiche wie früher; ich bin etwas beunruhigt», entgegnete Nadina. «Die Gerüchte, die während des Kriegs aufkamen, sind nie ganz verstummt. Ich habe ständig das Gefühl, beobachtet zu werden.»
    «Man hat Ihnen aber nie etwas anhaben können?»
    «Dazu sind die Pläne unseres Herrn und Meisters viel zu sorgfältig gesponnen.»
    «Lang lebe der ‹Colonel›», sagte der Graf lächelnd. «Haben Sie die erstaunliche Neuigkeit vernommen, dass er sich vom Geschäft zurückziehen will? Zurückziehen – wie ein kleiner Krämer!»
    «Oder wie jeder große Geschäftsmann. Der ‹Colonel› ist nie etwas anderes gewesen als ein sehr tüchtiger Geschäftsmann. Er organisiert Verbrechen, wie ein anderer eine Schuhfabrik aufzieht. Ohne sich selbst jemals bloßzustellen, hat er eine ganze Serie von Straftaten geplant und ausführen lassen, die ihm ein riesiges Vermögen einbrachten. Und dabei war ungefähr jeder Geschäftszweig vertreten: vom Juwelendiebstahl über Erpressung, Fälschung, Spionage und Sabotage bis zum diskreten Mord. Alles schlug in sein Fach. Und er ist ein kluger Mann: Er weiß, wann er aufzuhören hat. Das Spiel wird gefährlich? Er zieht sich zurück – mit unermesslichem Reichtum.»
    «Hm», meinte der Graf. «Für uns ist es etwas peinlich. Wir stehen nun sozusagen auf der Straße.»
    «Aber wir sind bezahlt worden, sehr freigebig bezahlt.»
    Der leichte Spott dieser Worte ließ den Grafen aufhorchen. Nadina lächelte vor sich hin. Doch er fuhr diplomatisch fort: «Ja, der ‹Colonel› ist immer freigebig gewesen. Darin lag ein Teil seiner Erfolge – darin, und in seiner Kunst, stets einen geeigneten Sündenbock zu finden, wenn es nötig wurde. Ein kluger Kopf, unzweifelhaft ein kluger Kopf! Und trotzdem abergläubisch wie eine Frau. Vor Jahren ließ er sich einmal wahrsagen. Das Weib prophezeite ihm ein Leben voller Erfolge, doch schließlich würde ihn eine Frau zur Strecke bringen.»
    Nadina blickte interessiert auf.
    «Das ist sehr merkwürdig», sagte sie. «Eine Frau!»
    «Vielleicht wird er jetzt eine Frau heiraten, der seine Millionen rascher durch die Finger gleiten, als er sie verdiente.»
    «Nein, das glaube ich nicht.» Nadina schüttelte den Kopf. «Hören Sie, mein Freund, ich fahre morgen nach London.»
    «Und Ihr Vertrag?»
    «Ich werde nur eine einzige Vorstellung versäumen. Außerdem reise ich inkognito. Kein Mensch wird also jemals
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher