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Freiwild

Freiwild

Titel: Freiwild
Autoren: Anja Belle
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Fassade hinterlassen. Im Krieg diente es als Refugium der Journalisten und hatte daher mein besonderes Augenmerk. Inmitten der Schießereien gelegen, konnte man da wohl kaum noch vom Arbeiten sprechen. Eher vom Überleben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man als journalistische Zielscheibe viel zu lachen gehabt hatte. Glücklicherweise waren diese Zeiten vorbei. Offiziell war Waffenstillstand ausgerufen, aber da war man sich unter den Rebellen noch nicht so ganz einig. Es konnte also durchaus passieren, den einen oder anderen Schuss mitzubekommen.
    Da meine Kameraausrüstung sicher im Heck verstaut war, nahm ich mir vor, bei nächster Gelegenheit hierher zurück zu fahren und Aufnahmen zu machen. Ich hatte schon lange ein Faible für die Morbidität kaputter Architektur. Ruinen und verlassene Häuser übten eine magische Anziehungskraft auf mich aus und mich juckte es in den Fingern, das auf meine Festplatte zu bannen.
    Aus der Stadt heraus gekommen, fuhren wir über eine kleine, verlassene Landstraße Richtung Ilidza. Meine Blase meldete sich. Dringend. Die letzte Gelegenheit für einen Toilettengang war lange her gewesen. Leise fragte ich Jones, ob er kurz am nächsten Busch anhalten könnte. „Toilette?“, fragte er kurz angebunden, was ich nickend bejahte. „Okay, aber Sie dürfen die Straße nicht verlassen. Hinter einen Busch zu gehen kann ich nicht erlauben. Hier ist alles voller Minen. Es wird direkt am Auto auf der Straße gepinkelt!“ Ich schaute ihn mit einer Mischung aus Scham und Notwendigkeit an, aber meine Blase hatte die besseren Argumente. Ich stimmte zu und Jones hielt am Straßenrand an. Während Jones mich aus dem Jeep ließ, fuhr eine ganze Kolonne Soldaten in Truppentransportern an uns vorbei. Sie johlten und riefen unanständige Sachen, als sie mich sahen. Wie war das noch mit dem Freiwild? Egal. Jetzt hatte ich dringendere Sachen zu erledigen, als mir über so etwas Gedanken zu machen. Jones baute sich mit seiner Waffe im Anschlag breitbeinig zwischen dem Jeep und dem Straßengraben auf und wartete pflichtbewusst auf die Dinge, die ich zu tun gedachte.
    „ Könnten Sie sich bitte wenigstens umdrehen?“, flehend sah ich ihn an. Ich wollte nicht meinen blanken Hintern vor ihm präsentieren und verwünschte den Umstand, nicht einfach wie ein Mann im Stehen pinkeln zu können. Wie oft hatte ich Peter innerlich verflucht, weil im Bad mal wieder alles voller Spritzer gewesen war. Aber in dieser Situation erschien es mir äußerst praktisch, nicht die Hose runterlassen zu müssen. Jones murmelte nur ein: „Kann ich nicht machen. Vorschrift.“, und versuchte angestrengt, über mich hinweg zu gucken. Es war ihm genauso peinlich wie mir. Von Weitem kam eine neue Kolonne aus mehreren Wagen an. Jetzt oder nie! Wenn ich es jetzt nicht tat, würde ich warten müssen, bis diese Soldaten auch vorbeigefahren wären. Das hielt ich nicht aus. Schnell drehte ich mich mit dem Rücken zum Jeep, damit wenigstens mein Hintern einigermaßen verdeckt war, zog die Jeans herunter, hockte mich hin und ließ endlich laufen. Das war aber auch in letzter Sekunde! Erleichtert atmete ich auf.
    Ich hatte die Geschwindigkeit der herannahenden Wagen mit der Truppe darin unterschätzt. Sie waren schneller da als ich gedacht hatte und hatten mich selbstverständlich sofort ausgemacht. Unter Gröhlen und Johlen der Soldaten hockte ich mit blankem Gesäß hinter dem Jeep und wollte am liebsten im Erdboden versinken. Ich hätte mich unsichtbar machen wollen. Inmitten lauter Männer, die nichts Besseres zu tun hatten, als mir im Vorbeifahren beim Wasserlassen zuzugucken. Na, super. Das war jetzt nicht gerade die Situation, die ich mir hier so erträumt hatte. Allerdings wollte ich auch nicht wissen, was Jones später von seinen Kameraden zu hören bekommen würde. Eine Frau beim Austreten zu bewachen ist nicht gerade der ehrenvollste Job, den so ein MP tun konnte. So eng wie es ging, drückte ich mich an die Seite des Jeeps und wartete, bis die Kolonne vorbeigefahren war.
    Hochrot kam ich schließlich wieder zum Vorschein und Jones ließ die offensichtlich angehaltene Luft hörbar entweichen. Wir vermieden es beide uns anzusehen, bis wir wieder angeschnallt im Auto saßen. Über die letzten drei Minuten unseres Lebens würde wohl keiner von uns beiden je ein Wort verlieren wollen. Es war für beide Seiten einfach zu peinlich gewesen. „Können wir?“, Jones hatte es eilig, mich im Camp abzugeben, das war klar.
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