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Freiwild

Freiwild

Titel: Freiwild
Autoren: Anja Belle
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Vermutlich war ihm nicht bewusst gewesen, was der Job, auf eine Frau aufzupassen, tatsächlich bedeuten könnte. „Ja, bitte“, sagte ich und versuchte mich zu entspannen. Nur weg hier. Im Rückspiegel sah ich deutlich den dunklen Fleck meiner Pfütze auf der Straße. Es wirkte wie ein Mahnmal meiner Scham und ich hoffte, es würde so schnell wie möglich trocknen.
    Nach einer Weile kamen wir im Camp an. Es war ein riesiges , mit grünen Sichtschutzzäunen umfasstes Gelände. Man konnte jede Menge Gebäude, Container und Wellblechhallen erkennen und es sah völlig unübersichtlich aus. Das Ganze wurde durch das geschäftige Treiben vieler hunderter Soldaten garniert. Wie sollte ich mich da je zurechtfinden? Bei der Einfahrt stand ein kleines Wachhäuschen mit einer Schranke, bei der wir anhielten. Der Diensthabende stoppte uns, blickte in den Jeep und verlangte die ID-Cards der SFOR. Ich hatte keine erforderlichen Papiere; schließlich war ich kein Mitglied der Armee. Jones und ich versuchten ihm zu erklären, wer ich sei und was ich hier wollte. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er verstand, obwohl ich mit Händen und Füßen gestikulierte. Sichtlich genervt stampfte der Soldat in sein Wachhäuschen zurück und sprach lautstark mit seinem Vorgesetzten am Telefon. Wir mussten aussteigen und warten. Schließlich kam eine ganze Horde Wachen gelaufen, flankierte und geleitete uns zum Büro des wachhabenden Oberst.
    Dieser, ein Mann mittleren Alters mit angegrauten, ansonsten dunklen Haaren, kam nach ein paar Minuten aus seinem Büro. Er trug wie alle anderen auch seinen Feldanzug und war nur durch die Anzahl der Streifen und Abzeichen auf seiner Jacke von den übrigen Soldaten zu unterscheiden.
    Als er mich von den Wachen und dem MP umringt sah, hob er erst eine Augenbraue, dann fing er an zu lächeln, was ihn sofort menschlicher erscheinen ließ. Ich konnte mir ihn gut sonntags bei seiner Familie am Grill vorstellen; aber er machte genauso den Eindruck, als könne er recht ungemütlich werden. Ich nahm mir vor, es mir mit ihm nicht zu verscherzen. Mit festem Händedruck stellte er sich vor: „Oberst Breitenbacher!“.
    „ Nun“, mit Blick auf mich gerichtet, „Sie sind wohl der angemeldete Journalist, ja?“. Er betonte das 'der' so dramatisch lang gezogen, dass ich mich gezwungen fühlte, mich zu rechtfertigen.
    „ Nein, ich bin 'die' Journalistin. Anne Hofmann. Ich hoffe, das stellt für Sie kein Problem dar?“. Er blickte mich ernst an, aber seine Augen zeigten ein kleines, verborgenes Lächeln. „Offensichtlich sind Sie das. Ich freue mich, dass Sie zu uns gefunden haben. Fühlen Sie sich wie unser Gast. Feldwebel Geiß wird Sie auf Ihre Unterkunft geleiten und Ihnen die Anlage zeigen.“, und zu Jones gewandt: „Wegtreten!“.
    Jones, sichtlich erleichtert, mich abgeben zu können, verdrückte sich so schnell es eben gerade noch schicklich war. Feldwebel Geiß, einer der Wachen, die mich begleitet hatten, war ein eher unscheinbarer Kerl. Etwa einen halben Kopf größer als ich, kleine, blassblaue Augen, hellbraune, kurz geschorene Haare mit einem ausrasierten Nacken. Er war niemand, der mir in einer Menschenmenge auffallen würde, aber beim zweiten oder dritten Blick sah er gar nicht so übel aus. Ich folgte ihm zurück zu dem Jeep, mit dem ich gekommen war, um meine Sachen zu holen. So von hinten betrachtet, hatte Geiß eine gar nicht mal so unansehnliche Kehrseite.
    Er schulterte mit Leichtigkeit meine Sporttasche und wollte sich auch meine Ausrüstung aufladen, aber ich verneinte dankend. Meine Kamera durfte niemand in die Finger bekommen, da war ich eigen. „Mit meinem Gewehr bin ich da genauso.“, antwortete er mir lächelnd und ich zog meine Augenbrauen hoch. „So?“, meinte ich, da ich keine Waffe an ihm sah. „Ja, ich habe es schon lange und habe viel Zeit darauf verwendet, es ordentlich einzustellen. Das gebe ich niemals aus der Hand.“ Aus reiner Neugier fragte ich weiter: „Und ist hier jeder bewaffnet? Immer?“. Er stoppte, sah mich von unten bis oben an, klopfte auf das Pistolenholster, das an seiner Seite hing und erwiderte fast amüsiert: „Hier ist Krieg. Natürlich.“, in einem Tonfall, der mich wissen ließ, dass die Frage absolut naiv gewesen war. Ich kam mir dämlich vor; das hätte ich mir wirklich denken können. So vorgeführt zu werden war trotzdem unangenehm und ich nickte nur als Antwort.
    Geiß bemerkte meine plötzliche Einsilbigkeit und beschränkte sich nun endlich
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