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Freiwild

Freiwild

Titel: Freiwild
Autoren: Anja Belle
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mich, wie lange sie sich vor diesem Augenblick gedrückt hatten. Peter bestimmt Ewigkeiten. Er war nicht gut darin, mir etwas zu sagen, was ich nicht hören wollte. Offensichtlich war er aber gut genug darin, mir Dinge zu verschweigen.
    Bevor ich an dem Kloß in meinem Hals ersticken konnte, würgte ich gerade noch ein „Das wird dir noch leidtun“ raus, drehte mich um, packte wahllos eine der Taschen und lief zu meinem Auto. Nur weg hier!
    Martinas dämliches, überhebliches Grinsen würde sich unauslöschlich in mein Hirn einbrennen, wenn ich nicht sofort etwas dagegen unternahm. Und Peter? Auch wenn es in letzter Zeit nicht mehr so romantisch zwischen uns gewesen war, so hatte ich doch immer den Eindruck gehabt, wir wären ein gutes Team gewesen. Wie man sich doch täuschen kann.
    Im Auto angekommen schluchzte ich hemmungslos. Die Hände vor die Augen geschlagen rief ich mein Leid laut in die kleine, abgeschlossene Welt der Fahrerkabine meines Fiestas.
    Ich wollte nur noch weg. Kein Stein meines Lebens stand noch auf dem anderen. Meinen Job konnte ich nicht leiden, mein Freund hatte sich lieber eine Frau gesucht, die man vor lauter Künstlichkeit nicht erkennen konnte und Familie hatte ich nicht. Mich hielt hier nichts mehr.

Kapitel 1
    Nun saß ich also hier. Ramstein. Schon alleine der Name dieses Flughafens weckte üble Erinnerungen an brennende Menschen überall. Das Unglück bei einem Flugtag war noch nicht vergessen. Aber nichts mehr hier ließ noch darauf schließen, was vor ein paar Jahren passiert war. Das Gebäude war funktionell, lieblos zusammengeschustert und bot keinen freundlichen Empfang. Aber es war zum Glück ja nur eine weitere Station auf meinem Weg. Wohin er führen sollte wusste ich noch nicht. Ich wollte es auch nicht wissen. Er würde mich hoffentlich weit weg bringen.
    Über einen Bekannten hatte ich ziemlich schnell eine Stelle als Bildjournalistin bekommen und hatte die Gelegenheit genutzt. Außer Landes zu sein erschien mir in meinem momentanen Zustand als das Mittel der Wahl, um zu mir selbst zurück zu finden. Ich befand mich in einem Zustand zwischen Enttäuschung, Wut und Hilflosigkeit und dümpelte so in der Weltgeschichte umher. Ohne Wurzeln gehörte ich nirgendwo hin. Abgeschottet von allem anderen könnte ich meine Wunden lecken und ein neues, völlig anderes Leben beginnen. Ich wollte mit der Anne, die ich letzte Woche noch war, nichts mehr zu tun haben. Ich war naiv gewesen, hatte mich auf meinen Freund verlassen und im Job war ich zwischen Passbildern und Hochzeitsfotos gefangen gewesen. Das waren alles Fehler, die ich nicht mehr machen wollte. Ich war erwachsen, jung, schlank, und ich konnte mehr in meinem Job, als ich mit Passbildern je hätte zeigen können. Die Stelle bei der Agentur klang vielversprechend und der Auftrag über eine Langzeitdokumentation bei der SFOR war eine echte Herausforderung.

    Die Trostlosigkeit der Abflughalle passte zu meinem Gesamtbild. Ich fühlte mich genauso ungeliebt wie diese zugige Halle aus Beton und Stahl. Während alle um mich herum spaßten, sich unterhielten und sich auf ein Abenteuer freuten, saß ich einfach nur da und ließ die Menschen an mir vorüberziehen. Ich nahm an, dass einige der jungen Soldaten, die die Wartehalle bevölkerten, meine zukünftigen Weggefährten sein würden, aber es interessierte mich nicht. Innerlich kämpfte ich mit mir selbst, da blieb der Rest der Menschheit auf der Strecke. Einerseits wollte ich unabhängig sein und mich nicht mehr auf Freunde verlassen müssen, andererseits hatte ich ziemlichen Respekt davor, alleine in ein fremdes Land zu fliegen. Ich war in meinem Leben noch nie auf mich allein gestellt gewesen und es jagte mir selbst ein bisschen Angst ein.
    Letztendlich wurde mein Flug aufgerufen. Jetzt hatte ich eigentlich keine Wahl mehr und nahm allen Mut zusammen. Allerdings hatte ich kaum die Hoffnung, nun wirklich losfliegen zu können. Das war etwas, was ich gleich lernen sollte: verließ man sich auf die Bundeswehr in Transportfragen, so war man verlassen. Ich wurde schon den ganzen Tag umgebucht und auf Wartelisten gesetzt, aber das hieß noch lange nicht, dass tatsächlich etwas passierte. In meinem Zielflughafen in Jugoslawien war Nebel, und bei Nebel flog man nicht. Da konnten die anderen Nationen so viel abheben und landen wie sie wollten; die deutsche Flugleitung hatte ihre Befehle. Mir war es egal, dass ich schon den halben Tag lang hier saß und Soldaten kommen und gehen sah.
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