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Die Perserinnen - Babylon 323

Die Perserinnen - Babylon 323

Titel: Die Perserinnen - Babylon 323
Autoren: Elfriede Fuchs
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Der Fremde auf dem Thron
1
    Es war stockfinstere Nacht, als sie aus dem Schlaf gerissen
wurde.
    „Sei ganz ruhig“, sagte eine Stimme zu ihr. Es war die
Stimme von Rimna, dem Kindermädchen, doch sie war voller Angst, und instinktiv
wusste Paruschjati, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie rieb sich die Augen
und versuchte, ganz wach zu werden. Im Hintergrund waren Frauenstimmen zu
hören, schrill und wirr durcheinander. Starr vor Schreck ließ Paruschjati zu,
dass Rimna sie in eine Decke wickelte, sie auf die Arme nahm und mit ihr aus
der Kammer lief und dann den dunklen Gang hinunter. Die Stimmen wurden lauter,
je mehr sie sich der Halle näherten. Das Kindermädchen stieß die Tür auf. Licht
fiel blendend in Paruschjatis Augen, während Rimna sich durch das Gedränge
kämpfte und sie ihrer Mutter auf den Schoß setzte.
    „Hab keine Angst, Paruschjati!“, flüsterte Damaspia ihr ins
Ohr.
    Paruschjati schlang die Arme um den Hals ihrer Mutter.
Damaspia drückte ihr Gesicht an ihre Schulter und klopfte ihr beruhigend auf
den Rücken. Frataguna war ebenfalls da, sie kniete neben dem Sessel ihrer
Mutter auf dem Boden und klammerte sich an ihren Arm. Ihr Gesicht war von Angst
verzerrt.
    Paruschjati verdrehte den Hals, um besser sehen zu können.
Ihre Augen hatten sich inzwischen an das Licht gewöhnt, und sie bemerkte, dass
der große Raum in Wirklichkeit nur schwach erleuchtet war. Dienerinnen liefen
zwischen den rot lackierten Säulen umher und entzündeten weitere Lampen,
während zwei Eunuchen unter lautem Gepolter den schweren Riegel vor die
Flügeltür des Haupteingangs schoben. Die übrigen Frauen und Eunuchen starrten
verängstigt zur Tür.
    Von draußen waren Männerstimmen zu hören. Das Klirren von
Waffen. Geräusche von Schritten, die näher kamen, sich wieder entfernten und
zurückkehrten. Paruschjati war erst fünf Jahre alt, sie verstand nicht, was das
alles zu bedeuten hatte, doch sie spürte die Furcht und Anspannung der anderen,
und lähmende Angst kroch in ihr hoch.
    Der Lärm draußen kam noch näher. Jemand hämmerte gegen die
Tür und brüllte: „Aufmachen!“
    Bagapata, der Hofmeister, trat beschützend zwischen
Damaspias Sessel und die Tür. Die Klinge eines Akinaka funkelte in seiner Hand,
doch er hielt das kurze Schwert wie sonst seinen Zeremonienstab, unbeholfen,
ganz anders als die Palastwachen. Der Obereunuch war entschlossen, seine
Pflicht zu tun, doch er war alt und gebrechlich, und wie er so ganz allein in
der Mitte des Raumes stand, wirkte er auf merkwürdige Weise deplatziert, ja
geradezu hilflos.
    Das Geschrei und das Hämmern verstärkten sich. Jemand schlug
jetzt von außen mit einer Axt gegen die Tür, das Holz erbebte bei jedem Schlag.
Frataguna begann zu weinen, und Damaspia legte beschützend den Arm um sie,
während sie mit dem anderen Paruschjati noch fester an sich drückte. Die Frauen
und Eunuchen schrien auf, als das Holz splitterte, dann brach der Riegel und
die Tür flog auf. Drei oder vier Bewaffnete standen zwischen den zertrümmerten
Flügeln. Schreiend flüchteten die Frauen wie ein Schwarm aufgescheuchter Vögel
fort vom Eingang und drängten sich im hinteren Teil des Raumes zusammen.
    Von ihrem Platz auf dem Schoß ihrer Mutter aus sah
Paruschjati, wie Bagapata auf die Eindringlinge zuschritt, seinen Akinaka
linkisch in der Hand balancierend. Abrupt blieb er stehen. Alles ging so
schnell, dass Paruschjati Zeit brauchte, um zu begreifen, was geschehen war.
Mit einem grässlichen Geräusch riss der vorderste Eindringling seine Waffe aus
Bagapatas Brust. Blut spritzte, und der alte Eunuch stürzte mit dumpfem
Aufprall zu Boden. Das Klagen und Schreien der Frauen brach schlagartig ab.
Entsetzt starrten alle auf den Leichnam, unter dem sich eine Blutlache auf den
steinernen Fliesen auszubreiten begann.
    Der Mann beförderte Bagapatas Leichnam mit einem Tritt aus
seinem Weg und trat über die Lache hinweg weiter in den Raum. Das Licht der
Lampen fiel auf die goldenen Rosetten, mit denen sein kunstvoll gefälteltes,
knöchellanges Gewand verziert war. Es war gelb, mit blau und türkis gemusterten
Borten. Ein Unsterblicher! Der Eindringling gehörte zur königlichen Leibgarde,
seine Einheit stand unmittelbar unter dem Befehl des Hazarapatisch, des
mächtigsten Würdenträgers im Reich nach dem Großkönig. Der Blick des Mannes
fiel auf Damaspia, die wie erstarrt in ihrem Sessel saß, und wanderte dann
weiter zu Frataguna. Das Mädchen senkte hastig den Kopf, sodass
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