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Frauen, die Geschichte machten

Titel: Frauen, die Geschichte machten
Autoren: Reinhard Barth
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einer
     »Neuen Kongresspartei« antrat. Sie errang vierzig Prozent der Stimmen, wobei das Wahlsystem dafür sorgte, dass ihr mit 350
     von 521 Sitzen eine überwältigende Parlamentsmehrheit beschert wurde; die Gegner verschwanden in der politischen Versenkung.
    Jetzt verfügte Frau Gandhi über den nötigen Rückhalt für ein riskantes außenpolitisches Manöver. Offen unterstützte sie die
     Unabhängigkeitsbewegung in Ostpakistan (Ostbengalen), denn die Umklammerung durch den Staat, der die Indus- wie die Gangesmündung
     kontrollierte, war ihr stets ein Dorn im Auge gewesen. Wie gewünscht griff Pakistan im Dezember 1971 zu den Waffen und zog
     wie erwartet den Kürzeren. Ostbengalen wurde als Bangladesh selbstständig und die östliche Flanke Indiens damit befriedet.
     Indira Gandhi stand auf dem Höhepunkt ihres Ansehens, ihre Partei eroberte in nahezu allen Landesparlamenten die absolute
     Mehrheit.
    Auch international zollte man ihr Respekt. Mit Härte und Zähigkeit wuchs sie zur Statur ihres Vaters auf. US-Präsident Johnson
     war geradezu bezaubert vom dunklen Charme der Kollegin. Dem indischen Botschafter in Washington gegenüber, bezeichnenderweise
     ein Cousin von Indira, schwärmte er: »Was für ein nettes Mädchen und so schön!« und sagte ihr jede Unterstützung zu: »Soll |245| ich ihr Nahrungsmittel schicken? Soll ich sie angreifen? Ich tue, was Sie mir sagen.« Sein Nachfolger Richard Nixon hingegen
     fühlte sich unbehaglich in ihrer Gegenwart, ja er fürchtete, sie sei womöglich noch gerissener als er, der
tricky Dick
.
    Außenpolitische Anerkennung aber überdeckte allenfalls vorübergehend den inneren Reformstau. Die verkrusteten gesellschaftlichen
     Strukturen, die wuchernde Korruption, die wirtschaftliche Misere – all das vermochte auch eine gebieterisch auftretende Frau
     wie Indira kaum zu mildern, geschweige denn zu bewältigen. Maßnahmen wie die Verstaatlichung der Banken verschafften nur zeitweilig
     etwas Luft, blieben aber für das darbende Volk ohne nennenswerte Bedeutung. Frau Gandhi sah sich daher wachsendem politischem
     Gegenwind ausgesetzt, und der flaute auch nur kurzzeitig ab, als die Zündung eines indischen Kernsprengsatzes 1974 für Ablenkung
     sorgte. Die Probleme holten sie noch im gleichen Jahr wieder ein, als ein Verkehrsarbeiterstreik die wirtschaftliche Lage
     dramatisch verschärfte.
    In dieser angespannten Situation kam es im Juni 1975 zu einem Skandal: Auf Antrag der Opposition sprach ein Gericht in Indiras
     Heimatstadt Allahabad die Premierministerin wegen korrupter Praktiken im Wahlkampf 1971 für schuldig, was zu immer lauter
     werdenden Rücktrittsforderungen führte. Indira Gandhi trat die Flucht nach vorn an, verhängte den Ausnahmezustand und ließ
     an die 600 politische Gegner verhaften. Dieser halbe Staatsstreich war zum Scheitern verurteilt. Obwohl sich die Regierungschefin
     per Verfassungsreform im Herbst 1976 noch weiter gehende Rechte einräumen ließ, als ihr bereits zustanden, vermochte sie den
     zunehmenden Unmut auf Dauer nicht zu kanalisieren. Er richtete sich verstärkt auch gegen das Bemühen von Indira Gandhi, ihren
     Sohn Sanjay zu einem Mitregenten aufzuwerten.
    Vielleicht hätte man das noch murrend akzeptiert, doch die Person Sanjays polarisierte zu stark. Seine undurchsichtigen Geschäfte
     und das Vorgehen seiner Leute bei den im Windschatten des Ausnahmezustands forcierten Maßnahmen zur Eindämmung des bedrohlichen
     Bevölkerungswachstums lösten heftige Proteste aus. Mit Versprechungen und mit brutaler Gewalt versuchte man die Sterilisation
     von Frauen durchzusetzen ohne Rücksicht auf das traditionelle Familienbild und die gesellschaftlichen Folgen für die Betroffenen.
     Der ländlichen Bevölkerung war nicht zu vermitteln, dass gerade ihre Kinder eine Gefahr für das Land sein sollten. Zahlen
     über eine Verdopplung der Einwohnerzahl in nur zwei Jahrzehnten überzeugten sie nicht im geringsten.
    Es blieb Indira Gandhi schließlich nichts anderes übrig, als sich um eine breitere demokratische Legitimierung durch Wahlen
     zu bemühen. Sie wurden nach Lockerung des Ausnahmezustands für den 20. März 1977 angesetzt. Unter dessen Druck aber hatte
     sich die bisher heillos zerstrittene Opposition in der Janata-Partei von Morarji Desai gesammelt. Sie sorgte für eine schwere
     Niederlage |246| der Kongress-Partei der Premierministerin; fast 200 Sitze im Parlament verlor die bisher herrschende Fraktion, während ihre
     Gegner
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