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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe
Autoren: Anne Hansen
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da.« Er lacht. Ich sitze wie paralysiert am Tisch und halte mich in einer Art Schockstarre am leeren Glas fest. 80 bis 90 Stunden. Ich fasse es nicht.
    Alexander springt auf und ich sehe ihm hinterher. Plötzlich dreht er sich noch einmal um. »Eine Frage noch: Haben Sie früher mit Playmobil oder mit Lego gespielt?«
    »Äh, Playmobil«, stottere ich und denke an meine Playmobil-Burg, mein Playmobil-Pferdchen, das sogar den Schweif bewegen konnte, und natürlich an mein Playmobil-Ritterfräulein, das ich auf den Namen »Jutta« taufte (wie ich auf den kam, ist mir bis heute schleierhaft) und dem ich jeden Abend ein kleines Bett aus Zeitungen baute.
    »Und Sie?«, frage ich schüchtern.
    »Ich war eher der Lego-Typ. Playmobil war mir zu statisch.« Er lacht und winkt mir zu. »Bis nachher!« Mit beschwingtem Schritt federt er davon.
    In meinem Kopf dreht sich alles. Auf der einen Seite sehe und höre ich förmlich, wie ich auf dem Boden eines wunderschönen Kinderzimmers knie und einem kleinen, süßen Fratz eine Playmobil-Figur in die Hand drücke und dabei verschwörerisch flüstere: »Lass den Papa das nicht sehen, der mag lieber Lego.«
    Und auf der anderen Seite kann ich immer nur an eines denken: 80 bis 90 Stunden. Das sind bei sieben Tagen Arbeit zwölf Stunden pro Tag. Und bei fünf Tagen 18 Stunden Arbeit am Tag. So viel kann ein Mensch doch gar nicht arbeiten. Ich komme einfach nicht darüber hinweg. Wenn ich irgendwann einmal gefragt werde, ob mir eine Zahl etwas Besonderes bedeuten würde, werde ich sagen: »Ja, ab dem 29. Lebensjahr bestimmten die Zahlen 80 und 90 mein Leben.«
    Seit meiner Beziehung mit Michael bin ich traumatisiert, was arbeitende Männer betrifft. Na ja, natürlich will ich, dass mein Mann arbeitet und erfolgreich und angesehen und geschäftig ist, aber eben nicht ausschließlich. Nur allzu gut erinnere ich mich daran, wie ich wochenlang auf Michael gewartet habe, während er Dokumentationen im kongolesischen Sumpfgebiet drehte. Ich erinnere mich sogar daran, was ich mir schluchzend schwor, als es endgültig aus war zwischen uns: »Der Nächste wird ein Hartz-IV-Empfänger!« Natürlich war ich zu dem Zeitpunkt nicht Herrin meiner Sinne, aber ich befürchte, dass Alexander Nuno Pickart Alvaro meinen Michael um Längen schlägt, wenn es um die Arbeitszeit geht. Nicht mit mir. Ich will nicht schon wieder Opfer sein.
    Für einen Moment überlege ich, Alexander hinterherzurennen und ihm zu sagen, dass es mit uns leider nichts werden kann unter den Umständen. Aber streng genommen bin ich ja diejenige, die etwas will, und er ahnt noch gar nichts davon. Oh Gott. Was tue ich bloß? Es hätte doch alles so schön werden können.
    Mit zittrigen Händen hole ich mein Handy aus der Tasche.
    SMS an Pia.
    »kann ein traummann ein traummann sein, wenn er ein mann ist und dennoch ein traum bleibt?«
    So viel Tiefsinn in noch nicht einmal 160 Zeichen. Und das in meinem Zustand. Das zeigt nur, dass mein Hormonhaushalt und meine romantische Seele vollkommen in Wallung geraten sind. Ob es hier wohl irgendwo Alkohol gibt? Ich muss mich betrinken.
     

     
    Um Himmels willen. Keinen Alkohol. Ich muss einen klaren Kopf bewahren. In fünf Minuten werde ich im Europäischen Parlament sitzen. In einer Sitzung. Nicht auf der Besuchertribüne, sondern ganz regulär unten im Saal, im »Mitmachteil« (oder wie nennt man das bloß???). Jawohl. Ich. Hannah Jensen aus Klixbüll. Die noch nicht einmal weiß, welches Wahlsystem wir in Deutschland haben und die bei den Bundespräsidenten immer durcheinanderkommt. Ob es hier wohl irgendwo eine Beruhigungsspritze gibt?
    Kurze Rückblende, wie es zu dieser ... äh ... einmaligen Chance kommen konnte.
    Als Alexander vor fünf Minuten aus der Besprechung zurückkam, sagte er mir, dass er gleich schon wieder weitermüsse, in die »konstituierende Sitzung des Parlaments«. Vor zwei Wochen wurde nämlich das Parlament neu gewählt und nun finden die ersten Sitzungen statt. Ich habe wohl irgendwas von »Das klingt ja spannend« von mir gegeben, denn plötzlich meinte Alexander: »Warum kommen Sie nicht einfach mit? Ist eigentlich verboten, aber ich werde Sie schon irgendwie reinschmuggeln.«
    Und genau an diesem Punkt sind wir nun. Ich soll feindliches Gebiet betreten, der Grenzübergang steht unmittelbar bevor. Während ich ihm hinterherhetze (Himmel, hat der ein Tempo drauf!), zischt mir Schleuser Alvaro letzte Verhaltensinstruktionen zu, damit wir die Kontrollen am Eingang
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