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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe
Autoren: Anne Hansen
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sicher überstehen.
    Er wird die Kontrolleure begrüßen.
    Ich soll ihm selbstbewusst folgen.
    Nicht anhalten.
    Immer weitergehen.
    Selbstbewusst wirken.
    Nett grüßen.
    Einfach reingehen.
    Ohje, ich fühle mich wie ein DDR-Flüchtling, der – getarnt als Westdeutscher – den Checkpoint Charlie überqueren soll. Diese ganze Grenzdramatik bekommt plötzlich eine völlig neue Dimension.
    Nervös sprinte ich Alexander durch ein Labyrinth von Gebäuden, Fluren und Fahrstühlen hinterher (hier finde ich niemals wieder alleine raus!). Doch dann biegen wir um eine Ecke und plötzlich stehen sie da: die Kontrolleure.
    Alexander ist souverän. Grüßt, lächelt und geht selbstbewusst rein. Ich trotte wie in Trance hinterher. Und bin: drin.
    »Setzen Sie sich einfach hier irgendwo hin, ich muss da rüber. Viel Spaß und bis nachher, ich hol Sie wieder ab!« Ehe ich mich’s versehe, ist Alexander in der Mitte des Saales verschwunden. Eine Traube von Abgeordneten steht zusammen, dann setzen sich alle.
    Ich nehme schnell den ersten Platz, der mir in die Quere kommt: sechste Reihe, ganz außen. Ich lasse mich in den Sessel sinken und habe das erste Mal wieder die Gelegenheit, tief durchzuatmen (das wär’s ja noch, wenn ich im Europäischen Parlament vor lauter Aufregung in Ohnmacht fiele. Ob Alexander dann heldenhaft Mund zu Mund ...) Ich muss leise vor mich hin kichern, doch ein Mann neben mir (Aktenberg vor sich, Anzug, Krawatte, strenger Blick) brummt leise, aber bestimmt: »Quiet please.«
    »Äh, sorry«, stottere ich und lache gequält. Wo bin ich bloß hier gelandet? Zum ersten Mal sehe ich mich um.
    Der Saal ist riesig. Hunderte Stühle sind so angeordnet, dass sie wie ein großer Fächer auf ein Podest ganz vorne zulaufen. Überall stehen Kameras (oh Gott, auch zwei Meter schräg hinter mir, ob mein Hinterkopf gleich bei »Phoenix« groß rauskommt?) und über dem Saal sehe ich auf einer Empore eine Unmenge kleiner Kabinen. In jeder Kabine sitzt hinter einer Fensterscheibe ein Mensch mit Kopfhörer auf dem Kopf und Mikrofon vor dem Mund. Natürlich, die Dolmetscher!
    Ich starre fasziniert nach oben. Wenn ich nicht immer die Zahlen 80 und 90 im Kopf hätte, wäre ich jetzt der glücklichste Mensch auf der Welt. Ich hätte bald einen internationalen Freundeskreis und wahrscheinlich wären sogar die unwahrscheinlich lässigen Dolmetscher da oben meine engsten Vertrauten. Bei Jacqueline aus der Frankreichkabine wären wir bald zum Crêpe-Essen eingeladen, Jorge aus Spanien würde mir immer frivol zuzwinkern, wenn ich ihm auf einem der Gänge begegnen würde, und die Partys bei den Dolmetschern aus dem Ostblock wären die wildesten, und noch Tage danach würden alle darüber sprechen, wie ausgelassen man auf den Tischen getanzt habe.
    Es könnte alles so schön werden. Ob Alexander den Job wohl auch in Teilzeit machen könnte? Ich sehe heimlich zu ihm rüber. Er gestikuliert wild mit den Armen, diskutiert mit seinen beiden Nachbarn und arbeitet noch schnell Akten durch, die auf seinem Tisch liegen. Von allen da drüben wirkt er mit Abstand am engagiertesten. Es ist zum Heulen. Da wünsche ich mir eigentlich, dass er noch Kanzler wird, und nun will ich, dass er in Teilzeit geht.
    Oh Gott, die Sitzung beginnt. Der Mann auf dem Podest klopft plötzlich an sein Mikro und die Dolmetscher in ihren Kabinen richten sich auf. Auch Alexander und seine Kollegen verstummen. Wie alle anderen setze ich mir den Kopfhörer auf, der auf meinem Tisch liegt. An einem Knopf daneben kann man zwischen den verschiedenen Sprachen wählen. Ich drücke mich durch die Kanäle. Französisch, Englisch, Spanisch – in meinem Ohr erklingen abwechselnd so viele unterschiedliche Sprachen, wie ich sie zuletzt beim Grand Prix Eurovision de la Chanson gehört habe. (Der Italiener auf Kanal vier klingt übrigens am tollsten. Wahnsinnig erotisch und gleichzeitig enorm männlich. Und die holländische Übersetzerin gefällt mir gut. Ich finde, wir sollten den Holländern die Weltherrschaft anvertrauen – wer so nett spricht, kann nichts Böses im Schilde führen.)
    Himmel, ist das alles aufregend. Ich sitze im Europäischen Parlament im Mitmachteil, habe einen Kopfhörer auf und mache Sprachkanal-Hopping, als hätte ich nie etwas anderes getan. Wie lässig das aussehen muss. Ob ich den Mann neben mir frage, ob er ein Foto von mir machen kann? Mein Handy hat ja eine ganz gute Kamera, die Qualität wäre sicher super. Und wenn er das Handy schräg unter dem
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