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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt
Autoren: James Dickey
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schon um dich kümmern. Und ruf Martha an, wenn du da bist, und sag ihr, daß ich gleich nachkomme.«
    »Ich weiß schon, was ich sagen soll«, sagte er. »Wie könnte ich das vergessen!«
    Ich ging zurück zu dem Abzugskanal und stand noch ein letztes Mal dicht am Wasser. Ich beugte mich hinunter und trank aus dem Fluß. Die Rückfahrt war bequem und angenehm, obgleich ich das Auto eines Toten fuhr und mich alles darin an ihn erinnerte: der gute Zustand des Motors, die Sauberkeit des Wageninneren. Die kleine Plakette der Firma, für die er arbeitete, an der Windschutzscheibe. Aber ich mußte versuchen, das Auto zu vergessen, um mich auf die Landschaft zu konzentrieren, um zu sehen, wie um mich wieder meine Welt erstand, der ich entgegenfuhr.
    Nach vier Stunden hatte ich das Land der Neun-Finger-Leute und der letzten Stoßgebete hinter mir gelassen und fuhr in das Land der Drive-ins, der Motels und Riesenhamburger, aber alles, was meine Augen sahen, war der Fluß. Er kam zwischen Felsen auf mich zu – und dann drückte ich immer unwillkürlich auf den Gashebel –, er kam auf mich zu in langen Schleifen und grüner Stille, mit Bäumen und Kliffs und rettenden Brücken. Und ich hörte nicht auf, mir Sorgen über die Details der Geschichte zu machen, die wir erzählt hatten, und was daraus noch werden mochte. Was Lewis betraf, so war ich ganz sicher, so sicher wie bei mir selbst, aber wie sicher kann man überhaupt bei sich selbst und bei anderen sein? Bei Bobby dagegen war ich nicht sicher. Er trank ziemlich viel, und jemand, der betrunken ist und der so ist wie Bobby, gibt oft die perversesten Dinge von sich und auch solche, die ihm selbst am meisten schaden.
    Was seinen Mund allerdings für immer verschließen würde, war die Tatsache, daß er über dem Baumstamm gekniet hatte, ein Gewehr an der Schläfe, daß er geheult und gewinselt und mit den Füßen getrampelt hatte wie ein kleiner Junge. Bestimmt wollte er nicht, daß irgend jemand davon erfuhr, mochte er auch noch so betrunken sein. Nein, er würde bestimmt bei meiner Version bleiben. Diese Version war überzeugend. Von mir stammte sie, und ich hatte sie an der Welt ausprobiert, und sie hatte standgehalten. Sie war so in mein Bewußtsein eingegangen, daß es mir Mühe machte, durch sie hindurch bis zur Wahrheit vorzudringen. Wenn ich es aber tat, war die Wahrheit plötzlich wieder da: der Mond schien und lastete auf dem wilden Fluß, der Fels lastete auf meinem Herzen und pochte mit steinernem Puls. Und eine Tannennadel kitzelte mein Ohr, während ich im Baum auf die Dämmerung wartete. Ich war jetzt auf der vierspurigen Straße. In fast jedem Drive-in, an dem ich vorbeikam, hatte ich früher schon einmal gesessen. In mindestens der Hälfte der Geschäfte des Einkaufszentrums, wo ich jetzt abbog, hatte ich schon einmal etwas gekauft, und Martha kannte sie alle. Ich fuhr die lange Anhöhe mit all den Wohnhäusern hinauf, weg von dem Gestöhn der Lastwagen und den American-Oil-Plakaten am Straßenrand. Ich bog noch einmal ab und war zu Hause. Es war ungefähr zwei Uhr. Ich fuhr in den Hof und klopfte an die hintere Tür. Gleich würden sie mich erlösen. Martha öffnete die Tür. Eine Weile standen wir da und umarmten uns, und dann gingen wir hinein. Ich zog die schweren Schuhe aus, stellte sie in eine Ecke und ging auf dem Teppich hin und her. Dann ging ich noch einmal zum Wagen, holte Messer und Gürtel heraus und schleuderte sie tief in den Vorstadtwald hinein.
    »Ich könnte einen Drink brauchen, Süße«, sagte ich.
    »Erzähl«, sagte sie und blickte auf die Stelle, wo meine Wunde war. »Erzähl. Was ist denn bloß geschehen. Ich wußte, daß euch was passieren würde.«
    »Du hast ja keine Ahnung«, sagte ich. »Du kannst dir das überhaupt nicht vorstellen.«
    »Komm, leg dich hin, Schatz«, sagte sie. »Laß dich mal ansehen.«
    Ich ging mit ihr ins Schlafzimmer, wo sie ein altes Laken über das Bett warf, und ich legte mich darauf. Sie zog mir das Hemd aus und betrachtete sachlich und liebevoll den Verband, dann ging sie ins Badezimmer und holte drei oder vier Flaschen. Der Medizinschrank war das reinste kleine Krankenhaus, bis oben hin vollgepackt. Die Flaschen schüttelnd kam sie zurück.
    »Gib mir erst einen Drink, Liebling.«, sagte ich. »Und dann können wir Doktor spielen.«
    »Alle Ärzte spielen Doktor«, sagte sie. »Und alle Krankenschwestern spielen Krankenschwester. Und alle die Exkrankenschwestern spielen Krankenschwester. Besonders
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