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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt
Autoren: James Dickey
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früher.
    Dean wird ein kräftiger Junge, aber er ist ein merkwürdig stilles Kind. Er sieht mich manchmal von der Seite an, als wolle er mir etwas sagen. Aber das bilde ich mir wahrscheinlich nur ein; mit Ausnahme der Dinge, über die jeder Junge mit seinem Vater spricht, hat er noch nie etwas zu mir gesagt. Im übrigen ist er gesund, robust und unkompliziert und wird allmählich hübsch.
    Lewis ist sein erklärtes Vorbild; er stemmt schon Gewichte.
    Weil manche meiner Gedanken mit ihr verbunden waren, suchte ich das Mädchen auf, das wir für Katts’ Wollhöschen fotografiert hatten, und lud sie ein paarmal zum Abendessen ein. Ich fand sie noch immer attraktiv, aber der goldene Strich in ihren Augen hatte seine Faszination für mich verloren. Er gehörte zum nächtlichen Fluß, in das Land der Unmöglichkeiten. Dort lag für mich sein Zauber. Ich ließ ihn dort, obwohl ich gern noch einmal gesehen hätte, wie sie in einem Raum voller Männer ihre Brust mit der Hand verdeckte. Ich sehe sie hin und wieder, und das Atelier beschäftigt sie gelegentlich. Sie ist ein erfreulicher Bestandteil meiner Welt, aber ein unwichtiger. Sie ist imaginär.
    Martha nicht. Im Sommer sitzen wir am Ufer eines Sees, wo wir ein Fertigholzhaus haben – es ist nicht der Lake Cahula, er liegt drüben am anderen Ende des Bundesstaates, aber es ist auch ein verdammter See –, und wir blicken über das Wasser und trinken abends manchmal ein Bier. Auf der anderen Seite ist ein kleiner Bootshafen; wir sitzen da und beobachten die Boote, die hinausfahren, und die Wasserski-Läufer, die vom Ufer abspringen und ihren langen, endlosen, sprühenden Ritt über die grüne Wasserfläche beginnen. Gelegentlich kommt Lewis aus seiner Blockhütte zu uns herüber – er humpelt noch ein wenig –, und wir sehen einander wissend an; wir kennen das wahre Gewicht und die Macht allen Wassers.
    Auch er hat sich verändert, wenn auch nicht auffällig. Er kann jetzt dem Tod in die Augen sehen. Er weiß jetzt, daß Sterben besser ist als Unsterblichkeit. Er ist irgendwie menschlicher geworden. Manchmal nennt er mich ›U. V.‹, und das bedeutet – nur für ihn und mich – ›Ungeplantes Verbrechen‹, und das ist zu einem kleinen Spiel zwischen uns geworden, vor allem bei Parties und wenn wir mit Fremden in der Stadt essen. Manchmal üben wir uns am See auch im Bogenschießen. Lewis hat dort zwischen den Bäumen, am Fuß eines leichten, gut fünfzig Meter langen Abhangs, von dem aus man wunderbar hinabzielen kann, eine große Zielscheibe aufgestellt. Wir haben schon Dutzende von Aluminiumpfeilen verschossen, aber ich habe nie wieder einen Pfeil mit Doppelspitze in den Bogen gelegt. Meine Wunde würde dagegen protestieren. Allein schon bei dem Gedanken daran schmerzt sie. Außerdem brauche ich Pfeile mit Doppelspitzen auch nicht, denn der Bogen, mit dem ich jetzt schieße, ist für die Jagd viel zu leicht. Lewis ist immer noch ein guter Schütze, und es macht nach wie vor Spaß, ihn zu beobachten.
    »Ich glaube, mein Abschuß kriegt immer mehr Zen«, sagte er einmal. »Diese Schlitzaugen wissen schon was. Man sollte nicht dagegen angehen, sondern mitgehen. Dann zieht es dich mit. Dann trägt es den Pfeil.«
    Der Lake Cahula ist zwar noch nicht so dicht besiedelt wie unser See, aber alles deutet darauf hin, daß die Leute sich mehr und mehr für ihn interessieren, so wie es immer geschieht, wenn ein hübsches und – wie die Immobilienmakler sagen – jungfräuliches Gebiet plötzlich in Mode kommt. Ich glaube, daß es noch Wild am Lake Cahula gibt – Wild, das sich früher meist oben in den Wäldern am Rand der Schlucht aufhielt –, aber in wenigen Jahren wird es verschwunden sein, und vielleicht sind dann nur noch die unverwüstlichen Wildkaninchen da. Am Südrand des Sees hat man schon einen großen Bootshafen gebaut, und der jüngere Bruder meiner Frau sagt, das Gebiet sei im Kommen, besonders für die neue Generation, für die jungen Leute, die gerade die High School hinter sich haben.
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