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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt
Autoren: James Dickey
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wenn sie jemanden lieben.«
    Sie brachte mir die Whiskeyflasche, ich setzte sie an den Mund und trank. Dann weichte sie mit einem geheimnisvollen Hausmittel, das sie aus dem Badezimmer geholt hatte, den Verband ab. Lage um Lage löste sich, und darunter war es ganz hübsch blutig. Die Stiche waren blutverkrustet.
    »Das sieht ganz gut aus«, sagte sie. »Gute Arbeit. Die Wundränder ziehen sich schon zusammen.«
    »Welch frohe Botschaft«, sagte ich. »Kannst du mir einen neuen Verband anlegen?«
    »Kann ich«, sagte sie. »Aber wie ist das bloß passiert? Das sind doch scharfe Schnittwunden. Ist denn jemand mit dem Messer auf dich losgegangen? Das muß ja schrecklich scharf gewesen sein.«
    »Ich«, sagte ich. »Ich bin mit dem Messer auf mich losgegangen.«
    »Hast du denn einen Unfall …?«
    »Kein Unfall«, sagte ich. »Hör mal, laß mich zu Drews Frau rüberfahren. Ich komme sofort zurück und schlafe dann mindestens eine Woche lang. Und zwar mit dir. Mit dir.«
    Sie war ganz zärtliche Krankenschwester und nüchtern, wie ich es mir erhofft und wie ich es erwartet hatte – nur daß ich es nie genügend zu würdigen wußte. Sie bestrich die Stelle mit einer Antibiotika-Salbe, legte dann einige Gazestreifen darauf und schließlich, sachkundig, ein luftdurchlässiges Pflaster. Als ich aufstand, kam mir die Wunde nicht mehr so steif vor, und die Stelle wurde langsam wieder ein Teil meines Körpers, auch wenn sie noch sehr weh tat. Aber wenigstens behinderte sie mich nicht mehr bei jeder Bewegung.
    »Willst du hinterherkommen und mich zurückfahren?«
    Sie nickte.
    Vor Drews Haus stand sein kleiner Sohn in der Uniform der Boy-Scouts und öffnete die Tür. Ich trat ein, mit den Wagenschlüsseln in der Hand, und Pope holte Mrs. Ballinger. Alles hier erinnerte an Drew – die Wände voll von Tonbandgeräten und Schallplattenregalen, von Verkaufsprämien und Ehrenurkunden. Die Schlüssel in meiner Hand klimperten.
    »Mrs. Ballinger«, sagte ich, als sie auf mich zukam. »Drew ist tot.«
    Es war, als hätte ich es gesagt, damit sie nicht weiter auf mich zukam, und es tat auch seine Wirkung. Langsam hob sich wie im Traum ihre eine Hand an den Mund, und dann kam die andere dazu, um sie dort festzuhalten. Hinter ihren Händen zitterte ihr Kopf. Sie sah mich fassungslos an.
    »Er ist ertrunken«, sagte ich. »Lewis hat sich ein Bein gebrochen. Bobby und ich haben Glück gehabt. Um ein Haar hätten wir alle dran glauben müssen.«
    Sie hielt immer noch die Hände auf den Mund gepreßt. Die Schlüssel klirrten und klimperten.
    »Ich habe den Wagen zurückgebracht.«
    »So sinnlos«, sagte sie, zwischen ihren Fingern hindurch. »So sinnlos.«
    »Ja, es war sinnlos«, sagte ich. »Wir hätten nicht fahren sollen. Aber wir haben es nun mal getan. Leider.«
    »So eine schrecklich sinnlose Art zu sterben.«
    »Alles Sterben ist sinnlos.«
    »Aber nicht so sinnlos.«
    »Wir sind so lange da oben geblieben, wie man uns beim Suchen brauchte. Sie suchen immer noch. Ich glaube allerdings nicht, daß sie ihn finden werden, aber sie suchen noch.«
    »Sinnlos.«
    »Drew war unser bester Mann«, sagte ich. »Es tut mir so leid. Es tut mir so verdammt leid. Kann ich irgend etwas für Sie tun? Ich meine es wirklich. Kann ich …«
    »Sie können mich allein lassen, Mr. Gentry. Machen Sie, daß Sie hier herauskommen, und gehen Sie zu Ihrem verrückten Freund Lewis Medlock, und erschießen Sie ihn. Das können Sie für mich tun.«
    »Er ist selbst schlimm verletzt. Und es tut ihm genauso leid wie mir. Verstehen Sie das doch bitte. Es ist nicht seine Schuld. Der Fluß war schuld. Es ist unsere Schuld, daß wir uns auf diese Flußfahrt eingelassen haben.«
    »Schon gut«, sagte sie wie aus weiter Ferne, wie aus der Zukunft, wie aus den Jahren, die vor ihr lagen, wie aus der ersten einsamen Nacht. »Schon gut, Ed. Niemand kann etwas daran ändern. Niemand kann je etwas ändern. Es ist alles so sinnlos. Alles ist sinnlos und immer sinnlos gewesen.«
    Ich sah, daß sie nicht weitersprechen konnte, aber ich versuchte es noch einmal.
    »Soll Martha herüberkommen und ein paar Tage bei Ihnen bleiben?«
    »Ich will Martha nicht. Ich will Drew.«
    Sie schwankte, und ich ging auf sie zu, aber sie schüttelte heftig den Kopf, und ich trat wieder zurück, wandte mich um, legte die Wagenschlüssel auf den niedrigen Tisch neben den Band mit der Firmengeschichte und ging hinaus.
    Als wir nach Hause fuhren, fragte ich mich, ob es ihr vielleicht etwas geholfen
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