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Flucht im Mondlicht

Flucht im Mondlicht

Titel: Flucht im Mondlicht
Autoren: N. H. Senzai
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grinste mit makellosen perlweißen Zähnen.
    »Gratuliere«, sagte Fadi.
    »Danke«, sagte Filbert und streckte die Brust heraus.
    Fadi trat zur Seite, als ein paar Mädchen sich näherten. Er stand nun vor dem Siegerfoto und pfiff anerkennend. Er konnte verstehen, warum die Jury es ausgewählt hatte. Es war ein gekonntes Action-Foto und zeigte einen Fallschirmspringer, der rückwärts in einen weiten kristallklaren Himmel fiel. Man konnte die Flugzeugtür sehen, wodurch ein toller Drei-D-Effekt entstand. Der Gesichtsausdruck des Fallschirmspringers war wirklich lustig. Das Bild enthielt alle wichtigen Elemente: Es war genial einfach, und der Bildaufbau und die Beleuchtung waren perfekt.
    Sei kein schlechter Verlierer , ermahnte sich Fadi und ging weiter, zu einer Wandtafel mit mehreren Reihen von Fotos. Auf einem Schild darüber stand: Die fünfzig besten Schnappschüsse. Interessant , dachte er und betrachtete sie Reihe für Reihe. Es waren großartige Bilder darunter, komische und traurige, stimmungsvolle und faszinierende. In der linken unteren Ecke überreichte Dada Abai eine Rose. Fadis Herz schlug schneller. Er beugte sich vor, um sich die weichen Schatten, die das sanfte Licht der Abenddämmerung erzeugte, genauer anzusehen.
    Wenigstens habe ich es unter die ersten fünfzig geschafft .
    »Das war eines meiner Lieblingsfotos«, sagte eine tiefe Stimme hinter ihm.
    Fadi fuhr überrascht herum.
    »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte ein graubärtiger Mann, der ein verschossenes Tweed­jackett und Jeans trug.
    Fadi erkannte ihn vom Foto. Es war Clive Murray.
    »Oh …« Fadi schluckte. »Hallo, Mr Murray.«
    »Nenn mich Clive«, sagte er lächelnd. Er blickte auf Fadis Namensschildchen. »Du bist also Fadi?«
    »Hm … ja«, erwiderte Fadi.
    »Dein Foto gefällt mir sehr. Es ist gut gemacht. Man sieht, dass die Modelle nicht einmal wissen, dass sie fotografiert werden.«
    »Danke«, sagte Fadi, dem plötzlich ganz warm wurde.
    »Ich persönlich liebe Porträtaufnahmen. Wo ich auch bin, selbst im Chaos von Kriegsgebieten oder Schlacht­feldern, ich bleibe immer stehen, um Menschen zu fotografieren. Die Gesichter der Menschen erzählen mir die wahre Geschichte.«
    »Es war gar nicht so einfach, bei dem Licht«, sagte Fadi.
    »Das Licht kann dein Freund oder dein Feind sein.« Clive lachte.
    Fadi nickte. »Besonders in der Abenddämmerung.«
    »Du solltest weiter üben und etwas riskieren«, sagte Clive. »Aus Fehlern lernt man. Ich mache heute noch Fehler.«
    »Wirklich?«, fragte Fadi. Er konnte sich das bei Clive gar nicht vorstellen.
    »Komm mit. Ich zeig’s dir. Ich habe für die Wettbewerbsteilnehmer Anschauungsmaterial zusammenstellt – Beispiele, aus denen ihr lernen könnt.«
    Fadi folgte Clive zu einem Tisch vor der Rückwand, an dem ein Banner mit der Aufschrift Société Géographique hing.
    »Das sind einige meiner neuesten Bilder von meiner letzten Reise nach Afrika und Asien«, sagte Clive und deutete auf ein großes Album. »Jetzt muss ich mal das Meisterfoto suchen, auf dem ich jemandem den Kopf abgeschnitten habe!«
    Fadi lächelte und schlug das Album auf. Das erste Bild zeigte eine Gruppe von Frauen, die durch ein Reisfeld wateten, während in den fernen Bergen Bomben explodierten. Man muss essen, auch mitten im Krieg , dachte Fadi traurig. Auf dem nächsten Bild marschierten afrikanische Milizsoldaten mit Macheten in den Händen eine staubige Straße hinunter. Beim nächsten Bild stutzte Fadi. Es zeigte einen Mann mit einem schwarzen Turban, der mit einem Gewehr dastand. Auf dem Foto daneben lief eine Gruppe von Frauen in schmutzigen blauen Burkas einen Feldweg entlang. »Wo haben Sie die aufgenommen?«, fragte Fadi leise.
    »An der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan«, antwortete Clive. »Ich machte eine Reportage über die Kämpfe, die vor Kurzem dort ausgebrochen sind.«
    »Oh«, sagte Fadi mit belegter Stimme. Er blätterte die Seite um. Seine Augen weiteten sich und ihm stockte der Atem. Das Foto zeigte ein Flüchtlingslager. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf eine Schar Kinder, die zwischen Zelten spielten. Ein kleines Mädchen presste eine Puppe an sich, die eine schmutzige und zerrissene rosarote Burka anhatte.

Nachwort
    Niemand musste nach Peschawar fliegen, um Mariam zu holen. Mit Clive Murrays Hilfe wurde sie in dem Flüchtlingslager gefunden, in dem er das Foto gemacht hatte. An jenem Abend rief Habib das amerikanische Konsulat und Tante Nargis an
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