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Flucht im Mondlicht

Flucht im Mondlicht

Titel: Flucht im Mondlicht
Autoren: N. H. Senzai
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und sagte ihnen, wo Mariam sich aufhielt. Das amerikanische Konsulat sorgte dafür, dass Mariam innerhalb von vierundzwanzig Stunden aus dem Flüchtlingslager abgeholt und in ein Flugzeug nach San Francisco gesetzt wurde. Zwei Tage später wartete die ganze Familie – außer Dada und Abai – vor der Zollkontrolle des internationalen Flughafens von San Francisco. Habib hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Über Onkel Amins Kopf schwebten heliumgefüllte Luftballons. Salmai und die anderen Vettern und Cousinen trugen Will­kom­mensschilder. Noor hielt die kleineren Kinder bei Laune. Safuna und Tante Nilufer hatten sich ganz vorne bei der Tür postiert und hielten einander die Hand. Fadi stand ein Stück abseits, den Rucksack über der Schulter. Darin befanden sich die rostige alte Honigbüchse, drei neue Barbies und eine Schachtel feines Konfekt. Sein Blick war auf den Ausgang geheftet. Jedes Mal wenn ein Passagier durchkam, stockte ihm der Atem. Dann sah er etwas rosarot aufblitzen, und Mariam sprang durch die Tür, in Begleitung eines Zollbeamten. Sie blieb kurz stehen, als würde sie Fadi mit einem inneren Radar orten. Ihre haselnussbraunen Augen entdeckten ihn nach wenigen Sekunden. Sie rannte los und wurde von Habib abgefangen, der sie an sich drückte, und von ihrer Mutter, die vor Freude weinte.
    An jenem Abend verschlang Fadi bei einem fröhlichen Festessen in Onkel Amins Haus einen ganzen Teller Man tu und er genoss jeden Bissen. Gulmina, die von ihren letzten Abenteuern ziemlich ramponiert war, hockte auf einem Ehrenplatz zwischen ihm und Mariam. Fadi warf einen Seitenblick auf seine kleine Schwester, die gerade lebhaft erzählte, wie sie es über die Grenze nach Peschawar geschafft hatte. Sie hatte abgenommen und ihr Gesicht wirkte schmäler, aber sie war wie immer. Er ließ die Finger hinter Gulminas Rücken über den weichen Teppich gleiten, umfasste Mariams Hand und drückte sie. Mariam sah ihn kurz an und grinste, dann erzählte sie munter weiter. Während er ihre kleinen Finger in der Hand hielt, breitete sich eine satte Zufriedenheit in seinem Körper aus.

Anmerkung der Autorin
    Ich wollte dieses Buch nicht schreiben, wirklich nicht. Ich sträubte mich jahrelang dagegen. Warum? Weil es darin um viele schwierige und persönliche Themen geht: um den 11. September, den Krieg gegen den Terrorismus, den Islam, die afghanische Kultur und Politik sowie um die Geschichte der Familie meines Mannes und ihre Flucht aus Kabul. Sosehr ich auch versuchte, nicht mehr an die Geschichte zu denken, sie ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Deshalb musste ich sie schließlich erzählen. Nach langem Überlegen beschloss ich, die Erlebnisse meines Mannes in Form einer fiktiven Geschichte zu schildern und die komplexe afghanische Kultur und Politik auf eine Art zu erklären, die für Jung und Alt verständlich ist.
    Der Vater meines Mannes war in den späten 1970erJahren Professor an der Universität von Kabul. Wie Fadis Vater promovierte er an der Universität von Madison im amerikanischen Bundesstaat Wisconsin zum Doktor der Agrarwissenschaften. Als die Sowjets 1979 in Afghanistan einmarschierten und dort eine kommunistische Marionettenregierung einsetzen, mussten afghanische Intellektuelle wie er sich entscheiden: Entweder sie unterstützten das Regime oder sie kamen ins Gefängnis und wurden gefoltert oder sie flohen aus dem Land. Der Vater meines Mannes traf eine ähnliche Entscheidung wie Fadis Vater. Er floh zwar zu einer anderen Zeit und auf einem anderen Weg aus Afghanistan als Habib, doch auch er machte sich mit seiner Familie auf eine gefährliche Reise, deren Ziel die Vereinigten Staaten waren. Mein Mann floh mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder, der im Gegensatz zu Mariam allerdings nicht durch unglückliche Umstände von seiner Familie getrennt wurde. Beiden Familien be­reitete die Anpassung an ein neues Leben in Amerika ähnliche Probleme und Sorgen. Mein Ehemann wuchs, wie Fadi, als Flüchtling in den Vereinigten Staaten auf. Auch er musste sich mit neuen Schulen, Anfeindungen und Diskriminierung auseinandersetzen. Aber beide gewannen Freunde, verfolgten ihre Träume und lebten sich gut ein.
    A fghanistan ist seit Jahrtausenden ein Schlachtfeld fremder Mächte. Alexander der Große und Dschingis Kha n kamen mit ihren Armeen, später die Briten und die Sowjets. Alle versuchten das Land zu erobern und zu besetzen, scheiterten jedoch letztendlich. Lektionen sind zu lernen, während die
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